Seit einigen Jahren plagt deutsche Juristen die drängende Frage, ob die Vertreter ihres Berufsstandes durch die Digitalisierung in der Zukunft verzichtbar werden, ob sie um ihre Mandate, ihre Einnahmen und ihre Jobs bangen müssen? Vielleicht ist es nur ein Hype und das ganze Gerede von Chatbots und Blockchain geht an Deutschland vorbei, wenn man es nur lange genug aussitzt? Die Chancen stehen gar nicht so schlecht, denn schließlich haben wir in der Fläche längst nicht überall die technischen Voraussetzungen, um eine digitale Vollzeitverfügbarkeit zu gewährleisten. Mancherorts ist man immer noch froh, wenn zumindest das Fax funktioniert, um die Fristen bei Gericht einzuhalten. Aber gehen wir einmal davon aus, dass der elektronische Postweg technisch möglich ist und beA funktioniert. Ist das schon Legal Tech? Hightech ist es jedenfalls nicht, was Atos dort geliefert hat, aber es ist wohl mehr als nur ein kurzfristiger Hype. An der digitalen Kommunikation führt kein Weg vorbei, wenn er auch zuweilen mühsam und langsam ist. Aber sollte die Digitalwirtschaft mit der prognostizierten künstlichen Intelligenz wirklich die Zukunft der Anwaltschaft bedrohen? Gegen ein bisschen mehr Intelligenz in dieser Welt wäre nichts einzuwenden, wobei ich mich persönlich lieber mit einem Menschen als mit einem Chatbot unterhalte. Aber sind KI, Chatbot und Blockchain jetzt wirklich die Feinde der Anwaltschaft? Ich vermute, dass das Aussitzen für den Anwalt viel gefährlicher ist, als ein beherzter Sprung auf die Datenautobahn, oder zeitgemäßer gesagt, in die Cloud. Da Anwälte aber berufsbedingt eher zu den Pessimisten zählen und sich die Anwaltschaft historisch gesehen nicht gerade als Zukunftstreiber hervorgetan hat, geistern zahlreiche Schreckensszenarien durch das Anwalt§universum. Aber die Mutigen unter ihnen sitzen auf Zukunftskongressen und Legal Tech Konferenzen, sie hören Vorträge von den Treibern der Legal Technology, wozu zahlreiche Softwareanbieter der Branche aber auch die ersten Startups der Legal Tech Szene zählen. Die Masse der 163.000 zugelassenen Rechtsanwälte wartet aber erst einmal ab. Atos, beA und die BRAK gießen fleißig Wasser auf ihre Mühlen.
Späte Nachfrage nach Wirtschaftsjuristen
Zwischen den treibenden BWLern der Legal-Tech-Startups und den abwartenden Volljuristen sitzt der Wirtschaftsjurist und wundert sich, dass plötzlich, nur 23 Jahre nach Gründung der ersten deutschen wirtschaftsrechtlichen Fakultät in Recklinghausen, sein juristischer Abschluss als Bachelor bzw. Master of Laws gefragt ist. Für die Absolventen grenzt es an ein Wunder, es gibt Stellenangebote sogar bei den renommierten Wirtschaftskanzleien. Dort wo die Mauer der Zulassung zur Anwaltschaft, das Beharren auf vollbefriedigende Examensnoten und das beständige Klopfen auf das Rechtsdienstleistungsgesetz die Türen seit Jahren versperrt hatte, werden nun Wirtschaftsjuristen gesucht. Aber auch in Unternehmen und in der noch jungen Startup Szene gibt es offensichtlich Verwendung für Absolventen des Wirtschaftsrechts.
Dafür gibt es zwei wesentliche Gründe. Der erste Grund ist den Wirtschaftsjuristen hinlänglich bekannt, sie sind billiger zu bekommen als ein Volljurist. Interessanter ist aber der zweite Grund. Die Digitalisierung macht es möglich und erforderlich, die juristische Arbeit in kleine Segmente zu zerlegen, einzelne Prozesse zu standardisieren, Teile in Projekten abzuwickeln und außerhalb von Kanzleien anzubieten. Der Bereich des Transaction-Support-Lawyer oder Projekt-Juristen wächst und der Begriff Paralegal bekommt eine neue weitreichendere Bedeutung. Dennoch ist ein großer Teil des Kuchens an die Anwaltszulassung gebunden. Wenn auch der Bereich der anwaltlichen Beratung und die Vertretung vor Gericht langfristig ebenfalls von Veränderung gekennzeichnet sein werden, so werden sie doch weiterhin dem anwaltlichen Berufsrecht unterliegen und nach dessen Vorgaben behandelt werden müssen. Auf diesem Feld sollten sich die Rechtsanwälte hervortun, den bereits angestoßenen Anpassungsprozess des Berufsrechts begleiten, ihre Pflichten einhalten, die Rechte des Mandanten bewahren und zeitgemäße Dienstleistung anbieten. Hier braucht man übrigens auch in Zukunft noch die gut ausgebildete, geschulte und geübte Rechtsanwaltsfachangestellte. Im Prozessverfahrensrecht, im Gebühren- und Kostenrecht, in der Zwangsvollstreckung und nicht zuletzt im Fristenwesen ist sie nicht zu ersetzen, nicht einmal durch einen Wirtschaftsjuristen.
Digitalkompetenzen
Der Wirtschaftsjurist kann in Zeiten der Digitalisierung nun endlich mit dem betriebswirtschaftlichen Teil seines Studiums punkten und sich über die jahrelange Schmach eines „halben Juristen“ erheben. Die innovative Verbindung von Technologie und Recht innerhalb und außerhalb von Kanzleien unter Beachtung von betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten erfordert Wissen, aber vor allem Fähigkeiten und Erfahrungen, die der Volljurist nicht im Jurastudium erlernt und sehr selten im Referendariat erfahren hat. Wirtschaftliches Handeln, Prozessoptimierung, Projektsteuerung, Technikaffinität, Programmierkenntnisse, interdisziplinäre Zusammenarbeit, das Denken in Produkten und Kundenorientierung sind bei der Entwicklung und Umsetzung von Digitalisierungsvorhaben unverzichtbar. Um nicht falsche Hoffnungen zu wecken, längst nicht jeder Absolvent eines wirtschaftsrechtlichen Studiums bringt all diese Fähigkeiten mit. Auch dieses Studium ist nicht ausreichend auf die Anforderungen der Digitalgesellschaft ausgerichtet. Zudem unterscheiden sich die Schwerpunkte der Bachelor- und Masterstudiengänge an den Universitäten und Hoch- und Fachschulen der Länder sehr stark voneinander. Dennoch sind der unternehmerische Fokus, die interdisziplinäre Arbeitsweise und die frühe Einbindung in die Team- und Projektarbeit gute Voraussetzungen für eine Tätigkeit im Legal Tech Bereich. Allerdings müsste der Einsatz der Wirtschaftsjuristen nicht in abgegrenzten Nischen im Support der Anwälte verortet werden, sondern endlich auf eine konstruktive Zusammenarbeit ausgerichtet werden. Die Digitalwirtschaft ist viel zu komplex, als dass sie von einer Berufsspezies allein bewältigt werden könnte, da hilft auch kein Staatsexamen. Statt dafür zu plädieren, den Jurastudenten jetzt auch noch Programmierkenntnisse beizubringen, sollten man sie in interdisziplinärer Zusammenarbeit unterrichten. Ein bisschen mehr Respekt vor anderen Professionen und die frühe Erfahrung, dass man auch von anderen lernen kann, helfen später sicher bei der Kommunikation mit dem Support Lawyer der Kanzlei oder dem IT-Spezialisten der Rechtsabteilung.
Wirtschaftsjuristen in Legal Tech Startups
Obwohl sich der Markt öffnet, ist leider noch nicht zu erkennen, dass die Wirtschaftsjuristen nun ad hoc in die Legal Tech Szene streben und sich das Feld aktiv und freudig erschließen. Eher sind sie von den disruptiven Entwicklungen des Rechtsmarktes gefühlt wieder ausgeschlossen. Aktivitäten der Legal Tech Verbände, der Konferenzen, Tagungen und Touren durch die ersten Innovationszentren richten sich vornehmlich an Wirtschaftsanwälte. Ja, der kleine feine Unterschied zwischen Wirtschaftsjurist und Wirtschaftsanwalt ist immer noch die Zulassung zur Anwaltschaft. Die Teilnahme an den gut ausgestatteten Branchen- und Netzwerktreffen richten sich an die bewährte Zielgruppe der Wirtschaftsanwälte in den Wirtschaftskanzleien und Rechtsabteilungen und an die Studenten der Rechtswissenschaften in den Universitäten. Der Wirtschaftsjurist fühlt sich bis auf einige Ausnahmen, die persönlich den Zugang gefunden haben, zu dieser Klientel nicht zugehörig. Auch die Veröffentlichungen der Branche erreichen ihn kaum. Über 20 Jahre hat man dem Wirtschaftsjuristen zu verstehen gegeben, dass er ohne Zulassung draußen bleiben muss, nun wird er nicht so schnell von selbst anklopfen.
Das Wort Legal Tech erzeugt bei den Absolventen meist ein Fragezeichen im Gesicht oder spiegelt die Vermutung, dass die Rechtsanwälte wieder mal jemanden für den Datenraum brauchen. Die Kanzleien haben es nicht leicht, das Vertrauen der Wirtschaftsjuristen zu gewinnen. Die klassischen Unternehmen haben leider immer noch zu wenig Kenntnis von den Einsatzmöglichkeiten der Wirtschaftsjuristen. Besser sieht es in den Legal Tech Startups aus. Hier werden Schnittstellenpositionen besetzt, ideal für Absolventen mit Wirtschaft & Recht. Hier braucht man Mitarbeiter mit juristischem Wissen und unternehmerischem Denken. Die jungen Firmen unterliegen einem ständigen Veränderungsprozess, durchleben Finanzierungsrunden oder überleben sie auch nicht, fusionieren und müssen sich eigentlich täglich neu erfinden. Juristisches Wissen ist hier nicht nur für die Produktentwicklung gefragt, sondern auch für die Abbildung und Prüfung der internen Prozesse und Verträge. Die in den Stellenanzeigen der Startups meist gepriesenen „flachen Hierarchien“ sind allerdings oft der Inbegriff eines noch ziemlich unstrukturierten Miteinanders. Aber Versuch und Irrtum gehören zur Gründungsphase wie auch die Angriffe derer, die befürchten, dass sie verzichtbar werden, dass ihre Einkünfte und vor allem ihr Einfluss schwindet. Man sollte als Legal Tech Gründer auf jeden Fall einen guten Anwalt haben. Und die Anwälte sollten eigentlich begeistert sein, die Digitalisierung spült unendlich viel neuen Beratungsbedarf in ihre Kanzleien. Für die Routineaufträge im Datenschutz und Compliance können sie auch gleich wieder Wirtschaftsjuristen einstellen.
Und so könnten alle ganz in Ruhe und ungestört ihr spezielles Geschäftsfeld bestellen. Bis in der deutschen Rechtsberatungsbranche tatsächlich Anzeichen von Disruption spürbar sind, werden noch Millionen Fluggastverspätungen bearbeitet, tausende Blitzer Strafzettel reguliert und Hartz4 Widersprüche bearbeitet werden. Es werden hunderte Ehepaare den Rosenkrieg bis zur Scheidung führen und kein Kanzleianwalt wird diese Mandate wirklich vermissen.
P.S. Das nächste große Event der Legal Tech Szene findet am 4. und 5. Dezember in Darmstadt statt. LEGAL®EVOLUTION. Ich bin gespannt, wie viele Wirtschaftsjuristen ich auf der Expo 2018 treffe.
Eine ReNo ist keine Tippse – von der Schreibmaschine zur digitalen Spracherkennung
Der Anwalt diktiert, die ReNo schreibt. Das war nicht immer so.
Zumindest seit dem Inkrafttreten der Rechtsanwaltsordnung am 01.10.1879 kann man die Entwicklung des Berufs der Rechtsanwaltsfachangestellten nachvollziehen. Vor der Befreiung der Anwaltschaft vom Staat hat sich der Advokat zur Erstellung seiner Schriftsätze Gerichtsschreibern oder Konzipienten bedient. Konzipienten warteten als Anwärter oft jahrelang auf eine Advokatur und verdingten sich derweil als akademisch gebildete Schreiber. Doch mit dem Inkrafttreten der Rechtsanwaltsordnung war es jedem, der die Zulassung zum Richteramt erlangte, freigestellt, sich als Rechtsanwalt zuzulassen. Damit erhob sich für die freien Rechtsanwälte die brennende Frage: Wer schreibt? Die Gerichtsschreiber wurden in den Justizdienst aufgenommen und wer die Zulassung zur Anwaltschaft selbst erlangte, und nun eine eigene Kanzlei gründen konnte, würde wohl nicht mehr für andere schreiben.
Das auch schon damals dringend notwendige Kanzleipersonal rekrutierte sich ausschließlich aus Männern, die meist schon langjährige Erfahrung in der Büroorganisation, mit Botendiensten und vor allem mit dem Schreiben gesammelt hatten. Damals schrieb man noch mit Hand! Der Kanzleieigner und freie Rechtsanwalt brauchte vermutlich zahlreiche erfahrene Schreiber und auch einen Büro- oder Kanzleivorsteher, der von seinem Stehpult aus das Kanzleipersonal beaufsichtigte und anleitete. Die Bürovorsteher waren damals allesamt Männer, wohingegen die Rechtsfachwirte heute überwiegend Frauen sind. Das wird insbesondere beim jährlich von Soldan organisierten Recht- und Notarfachwirttag sichtbar. Beim Anblick der 350 weiblichen Fachbesucher, die sich in diesem Jahr im Westin Hotel in Leipzig versammelten und abends die Tanzfläche füllten, wurde offensichtlich, dass dieser Beruf für Männer heutzutage wohl wenig attraktiv ist. Aber das war einmal anders.
Die Schreibmaschine brachte die Frauen ins Büro und in die Kanzlei.
Erst die Erfindung der Schreibmaschine, Ende das 19.Jahrhunderts, öffnete den Frauen den Weg in die Sekretariate, in Büros und auch in die Kanzlei des Rechtsanwalts. Der erste Erfinder einer Schreibmaschine, der Tiroler Peter Mitterhofer, ließ sich noch entmutigen, denn seine Erfindung wurde vom Österreichischen Kaiser abgewiesen da „eine eigentliche Anwendung dieses Apparates wohl nicht zu erwarten stehe“. Die Erfinder im Hause der Waffenhersteller Remington Arms Company, waren hartnäckiger und vor allem solventer als der Tiroler Tischler und gingen 1873 mit ihrer Remington Schreibmaschine in Serienproduktion.
Sie wurden aber zunächst ebenfalls enttäuscht, in diesem Fall von den männlichen Sekretären und Schreibern, da diese mit der Tastatur nicht zurechtkamen oder sie rundheraus ablehnten. So ersann Remington ein „Verleihsystem für Schreibmaschine nebst Frau“ und verlieh das Gesamtpaket Maschine-Mensch an Firmen, an Unternehmer und höchstwahrscheinlich auch an Rechtsanwälte. Dies geschah unter dem Versprechen, die leidige Schreibarbeit zu beschleunigen, ja gar zu revolutionieren.
Die Frauen kommen ins Unternehmen
Die jungen Mädchen und Hausfrauen nutzen die Chance, sich mittels der Schreibmaschine und ihrer eigenen Fingerfertigkeit den Zugang zum Büro, in die Sekretariate und Kanzleien zu verschaffen. Auf diesem Weg erlangten sie einen eigenen Verdienst und nachfolgend den Zugang zu einer Berufstätigkeit und schließlich zu einem eigenen Beruf. Die Frauen erfanden das Zehnfingersystem, perfektionierten das Blindschreiben und legten die Grundstein für das heutig gängige 10-Finger-Tastschreiben. Die Sekretärin war geboren, hat sich über die Jahrhunderte perfektioniert, sich emanzipiert und immer wieder der neuen technischen Entwicklung gestellt und angepasst.
Die Sekretärin hat Zugang zu allen Unternehmen, Abteilungen, Büros und Sekretariaten der Welt gefunden, ihre Tätigkeit hat sich mannigfaltig spezialisiert und im Laufe der Industrialisierung, Globalisierung und Digitalisierung viele unterschiedliche kaufmännische, administrative oder fremdsprachlich orientierte Berufsbilder hervorgebracht. Die Sekretärin hat einen unvergleichlichen Siegeszug hingelegt.
In der Kanzlei heißt sie nun ReNo oder ReFa. Aber eben das stimmt so nicht, denn die ReNo ist keine Tippse und nur in zweiter Funktion die Sekretärin des Rechtsanwalts. Und genau genommen meint man, wenn man ReNo sagt, die Rechtsanwaltsfachangestellte. Denn die Notarfachangestellte, die Fachangestellte der Notare – die Assistentin der Geschwindschreiber – steht auf einem ganz anderen Blatt Papier. Ihre Tätigkeit hat nun rein gar nichts mit einer Tippse zu tun und auch nichts mit einer Sekretärin. Die Notarfachangestellte schreibt auch kein Phonodiktat.
10-Finger-Tastschreiben – Steno – Phonodiktat und digitale Spracherkennung
Damals, als der Ausbildungsberuf der Rechtsanwaltsfachangestellte noch Rechtsanwaltsgehilfin hieß, war der Anwalt froh, wenn seine ReFa Stenografie beherrschte. Diese für Unkundige aus ominösen Zeichen und Kringeln bestehende Kurzschrift erlaubte der geübten Sekretariatskraft, das Diktat, einen Schriftsatz, die Klageschrift oder den Brief an den Mandanten möglichst schnell niederzuschreiben und bei einer Verhandlung Protokoll zu führen – mit der Hand! Da der Anwalt dieser Kurzschrift kaum mächtig war, tippte sie das Notierte kurzerhand in die Maschine und legte es ihm schön formatiert, natürlich fehlerfrei und durch einen Aktendeckel geschützt auf seinen Schreibtisch.
Mit einer neuen Erfindung, dem Diktiergerät, verschwand die Kurzschrift kurzerhand. Mit der Magnetbandaufzeichnung des gesprochenen Wortes brach ein neues Zeitalter an, das Phonodiktat eroberte die Anwaltskanzleien. Mit einem Diktiergerät und einer Magnetbandkassette ausgestattet speicherte der Rechtsanwalt fortan seine klugen Gedanken und seine oft endlos anmutenden Schachtelsätze, gespickt mit Verweisen, Aktenzeichen und Fußnoten auf das analoge Bandgerät. Die ReFa fand meist morgens die Bänder auf dem Schreibtisch und wusste schon, was sie zu tun hatte. Nach der Kontrolle der Fristen, der Bearbeitung der Post und anderer Prioritäten ihres Jobs, griff sie zum Kopfhörer, ertastete das Pedal unter ihrem Schreibtisch mit den Füßen und drückte auf Start. Es erfordert durchaus einiger Übung, die Geschwindigkeit des Bandes mit dem Fuß zu steuern, schnell auf Pause und wieder Start zu drücken und den Blick dabei nicht auf die Tastatur zu senken. Aber es ist kein Hexenwerk, man kann es erlernen.
Das Phonodiktat lebt immer noch
Üben, üben, üben. Man braucht allerdings die Gelegenheit und Zeit dazu. Eine frisch gebackene Rechtsanwaltsfachangestellte hört oft beim Vorstellungsgespräch in der Kanzlei das erste Mal vom Phonodiktat, Gelegenheit zum Üben hatte sie bisher nicht. Aber das Phonodiktat gehört auch heute in vielen Kanzleien noch zum Tagesgeschäft. Ausbildungsinhalt ist es dennoch nicht.
Die Technik hat sich weiterentwickelt. Es gibt digitale Diktiergeräte, kommerzielle Schreibdienste und selbst das Smartphone bietet Spracherkennungssoftware. Dragon ist in aller Munde. In seinen Blackberry oder iPhone zu brabbeln, ist heutzutage das Normalste der Welt. Die junge Anwaltsgeneration wächst digital auf, schreibt aber zumindest die Klausuren während des Jurastudiums immer noch mit der Hand. Trotzdem arbeiten die Junganwälte digital. Die juristischen Bibliotheken sind längst ins Internet verzogen, die Jurastudenten, Referendare und Associates arbeiten mit online-Datenbanken, kommunizieren digital und arbeiten mit Cloudlösungen. Wozu brauchen sie noch eine Rechtsanwaltsfachangestellte?
„Wer braucht denn noch eine ReNo, die Junganwälte tippen doch heute alles selbst.“
Diesen Satz hört man häufig, wenn es um den Nachwuchsmangel in den ReNoPat-Berufen geht. Dieser Gedanke ist wohl eher ein Wunsch als eine ernstzunehmende Zukunftsprognose. Wenn die ReFa eine Tippse wäre, wäre sie verzichtbar? Nein, nicht einmal dann. Denn das, was die digitale Spracherkennung produziert, ist nicht per se gerichtstauglich und auch dem Mandanten nicht zuzumuten. Kontrolle, Korrektur, Formatierung, Versionsvergleich, Änderungsverfolgung, Fußnoten, Inhaltsverzeichnisse, Kopien und drucken, heften, binden, versenden, faxen – fristgerecht bitte.
Eine Kanzlei besteht nicht aus getippten Dokumenten, sondern aus einer Organisationstruktur, einer Ablauforganisation, aus Verfahren und Prozessen, aus einem streng geregelten Kommunikationsgeflecht zwischen Rechtsanwalt, Gericht, Mandant, Gläubigern, Schuldnern, sonstigen Beteiligten und der gegnerischen Seite. All das ist streng geregelt mit Rechten und Pflichten des Anwalts belegt und in der Bundesrechtsanwaltsordnung BRAO und der Berufsordnung der Rechtsanwälte BORA festgeschrieben. Verschwiegenheit, um nur eine Pflicht der Berufsausübung des Rechtsanwalts zu nennen, ist in den Zeiten der Digitalisierung, Cloudspeichern und LegalTech-Anwendungen nicht mal so nebenbei einzuhalten oder einfach zu vernachlässigen.
Der elektronische Rechtsverkehr ERV, das besondere elektronische Anwaltspostfach beA und die Europäische Datenschutzgrundverordnung DSGVO haben bereits tiefgreifende Veränderungen der Kanzleiorganisation zufolge. Wenn die ReFa da nur tippen würde, würden so manchem Anwalt buchstäblich die „Fälle“ wegschwimmen.
Was eine ausgebildete ReFa alles kann, ahnt am ehesten der jüngst zugelassene Rechtsanwalt in eigener Kanzlei. Die anwaltlichen Pflichten treffen jeden Rechtsanwalt vom ersten Tag seiner Zulassung und seiner Teilnahme am Rechtsverkehr. Von der Rechnungslegung nach Rechtsanwaltsgebührenordnung RVG, der Abrechnung mit der Rechtschutzversicherung des Mandanten, der Kostenfestsetzung, der Berechnung der Fristen, der Ausstellung eines Mahnbescheids, der Einleitung einer Zwangsvollstreckung und der Fristverlängerung bei Gericht – all das hat der frisch gebackene Rechtsanwalt in seinem Jurastudium nicht gelernt und im Referendariat nicht geübt. Was ihm selbst am schnellsten von der Hand geht ist – das Tippen.
Die ReNo – wegdigitalisiert oder weggelaufen? Nein, die Rechtsanwaltsfachangestellte bleibt in Zeiten der Digitalisierung unverzichtbar.
Am Rande von Zukunftskongressen der Anwaltschaft und LegalTech-Konferenzen der Rechtsdienstleister fallen oft Bemerkungen über die ReNo, obwohl die ReNo an sich auf diesen Branchentreffen kaum eine Rolle spielt. Nur der Umstand, dass sie sich gerade sehr rarmacht, wird zumeist in der Mittagspause mit einem kurzen Satz abgehandelt.
„In ein paar Jahren braucht keiner mehr eine ReNo, dann haben wir alle digitalisiert.“
Um diese Prognose zu wiederlegen, müsste man eigentlich nicht einmal beA bemühen. Aber dieses besondere elektronische Anwaltspostfach ist ein schönes Beispiel dafür, dass die Digitalisierung sehr viel Fachkompetenz erfordert. Gerade, wenn die Entwickler diese Kompetenz nicht in das Produkt stecken, brauchen die Anwender umso mehr Fachkompetenz, guten Willen und Ausdauer, um das Ding dann in der Kanzlei anzuwenden. Unabhängig von dem Desaster dieses beA überhaupt einzuführen, hat allein die Ankündigung der eventuell stattfindenden Inbetriebnahme selbst JUVE-Award gekürte Topkanzleien des deutschen Kanzleimarktes dazu veranlasst, in gängigen Stellenportalen nach „beA-verständigen Rechtsanwaltsfachangestellten“ zu suchen. Gut, das war bereits Ende 2017, als man noch dachte, dass beA ans Netz geht. In der Zwischenzeit waren die Stepstone Anzeigen wieder verschwunden. Aber seit der Wiedergeburt von beA ist ganz offensichtlich, dass Digitalisierung viel Arbeit macht und die Rechtsfachwirte und Rechtsanwaltsfachangestellten stark gefordert sind. Man findet sie dann bei Weiterbildungsveranstaltungen wie dem von Soldan initiierten Deutschen Rechts- und Notarfachwirttag, der übrigens 2019 in Berlin stattfindet. Dort tauscht man sich aus, über Fehlermeldungen, Sicherheitsmängel und Versäumnisfallen, die der BGH schon vorausahnt.
Die ReFa sorgt sich um Post und Fristen – und um beA
Man muss nun feststellen, dass man auch für beA eine ausgebildete, zuverlässige, geschulte und geübte Rechtsanwaltsfachangestellte oder sogar eine Rechtsfachwirtin braucht oder sich zumindest eine wünscht. Und das ist richtig, denn selbst ein simples Postfach ist ein Stück Kanzleiorganisation. Und Kanzleiorganisation lernt nun einmal die Rechtsanwaltsfachangestellte in ihrer Ausbildung. Der Rechtsanwalt hat sich mit dem Tag seiner Zulassung mit diesen Themen noch nicht auseinandergesetzt. Der zukünftige Anwalt studiert Jura und wird auf das Richteramt vorbereitet. Kanzleiorganisation, Fristenberechnung, Aktenanlage, Kosten- und Gebührenrecht, Mandatsverwaltung, Mahnverfahren und Zwangsvollstreckung sind da nicht vorgesehen. Bei der Rechtsanwaltsfachangestellten sind all diese Aufgaben Teil der Ausbildungsverordnung. Und bei den ReFa-typischen Aufgaben wird übrigens täglich Post verschickt und empfangen. Genau genommen ist das klassische Kanzleipostfach Anfang und Ende der Kanzleiorganisation. Nicht zu verwechseln mit beA, da geht es um die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung. Vielleicht fragen Sie sich gerade, was die ReFa denn noch zu tun hat, wenn sie unter Einsatz eines elektronischen Postfachs nicht einmal mehr die Briefumschläge aufschlitzen oder frankieren muss? Die Bearbeitung der Eingangs- und Ausgangspost wird übrigens nur von denen belächelt, die nicht wissen, was ein Fristversäumnis für den Rechtsanwalt bedeutet. Die sorgfältige und sachkundige Postbearbeitung ist die Grundlage der Fristenerfassung.
Da sitzt die Achillesferse der Kanzlei. Im besten Fall sitzt an der Stelle eine zuverlässige und geschulte Fachkraft – so ist es im anwaltlichen Berufsrecht vorgeschrieben. Der BGH weiß das und spricht gern von Organisationsverschulden. Die ausgebildete Rechtsanwaltsfachangestellte weiß, wie man die Wiedereinsetzung der Frist beantragt. Das ist übrigens auch der Grund, warum nun sogar internationale Wirtschaftskanzleien wieder eine ReFa suchen. Die sollte möglichst eine Fristen-ReFa sein, die für alle Partner der Kanzlei die Fristen berechnet, erfasst, kontrolliert und sachgemäß streicht. Die Zahl der Prozesse und Verfahren im beratungsintensiven Wirtschaftsrecht wächst zusehends. In den Großkanzleien werden Abteilungen mit klangvollen Namen wie „litigation dispute resolution & risk management“ aufgebaut und da sollte nun eine ReFa auch die Post aufmachen und irgendwann beA benutzen.
Die qualifizierte Rechtsanwaltsfachangestellte oder Rechtsfachwirtin sorgt für Rechtssicherheit in der Kanzleiorganisation
Die Postbearbeitung und das Fristenwesen unterliegt als Teil der Kanzleiführung dem Anwalt und ist mit dem anwaltlichen Berufsrecht in der BRAO und BORA geregelt. Da das anwaltliche Berufsrecht nicht Teil der Pflichtausbildung des Anwalts ist, lernt auch hier die ReFa das in ihrer Ausbildung. Die Pflichten des Rechtsanwalts in Bezug auf die Organisation seiner Kanzlei werden zu einem großen Teil von der Rechtsanwaltsfachangestellten umgesetzt. Gerade in ihrer Funktion als Bürovorsteherin und mit der Qualifikation als Rechtsfachwirtin organisiert sie die Kanzlei, sie definiert die Ablauforganisation und sorgt im Tagesgeschäft für die Rechtssicherheit in der externen Kommunikation mit Gerichten und Mandanten, dies beginnt mit dem Datenschutz und der Kollisionsprüfung. Die ReFa hat das in ihrer dreijährigen dualen Ausbildung als Rechtsanwaltsfachangestellte gelernt. Sie hat das mit hämmernder Wiederholung eingeübt und nicht nur für die Prüfung vor der Rechtsanwaltskammer, sondern für die tägliche Anwendung in der Kanzlei. Und so fällt ihr nun auch beA in den Schoss. Der Rechtsanwalt darf im Rahmen seiner Kanzleiführung Aufgaben an die geschulte, geübte und zuverlässige Rechtsanwaltsfachangestellte delegieren – und das macht er doch prompt. Hoffentlich nicht über das erlaubte Maß hinaus. Das ist nämlich bei beA eine Sache der Haftung. Aber der Anwalt vertraut ja seiner ReFa und da darf sie auch mal das mit den beA-Karten, den Zugriffsrechten und mit den Signaturen regeln.
Wer bedient eigentlich die Kanzleisoftware?
Aber zurück zur Digitalisierung. Die Anbieter von Kanzleisoftware und vor allem die LegalTech Vertreter sind ja oft von der Vorstellung beseelt, dass die ReNo (sie wird leider als Sammelbegriff für alle Kanzleimitarbeiter angesehen) wegdigitalisiert wird. Damit erwecken sie bei den Kanzleieignern und Kanzleimanagern, die händeringend eine ReNo suchen, ja durchaus eine gewisse Hoffnung. Dann wäre dieses Problem des Mangels ja irgendwann gelöst.
Ich frage mich allerdings, was oder besser gesagt, wer denn diese Digitalisierung ist, die ganz alleine in der Kanzlei die Post bearbeitet, die Fristen einträgt, die Kostennoten erstellt, die Zwangsvollstreckung einleitet, mit dem Gericht und dem Mandanten kommuniziert, ans Telefon geht und dem Anwalt zeigt, in welcher Cloud gerade die Klageschrift im Fall Müller/Maier rumflattert.
Weggelaufen statt wegdigitalisiert
Aktuell zeigt sich leider eine gegenseitige Entwicklung, keine Spur von wegdigitalisiert eher von weggelaufen. Es gibt erfahrene Rechtsanwaltsfachangestellte und qualifizierte Rechtsfachwirte, die ihre Kanzlei aufgrund der mangelhaften und zeitraubenden Kanzleisoftware verlassen. Dass man wegen seinem Anwalt geht oder mit der Kollegin nicht klarkommt, das kannte ich ja schon, aber wegen der Kanzleisoftware? Ja, die Bewerber fragen heute ganz genau nach, welche Kanzleisoftware der potentielle Arbeitgeber installiert hat. Bei näherem Nachfragen hat sich gezeigt, dass nur in wenigen Fällen das installierte Produkt als gänzlich ungeeignet eingestuft wird. Das Problem liegt eher darin, dass in Kanzleien teilweise Sparlösungen installiert werden, Module aus Kostengründen sogar abbestellt werden, dass bei Kanzleifusionen Systeme nicht zusammengefügt werden. Dann soll ReFa mal gucken, wie sie die mitgebrachten Akten und Mandate in das System der neuen Kanzlei bekommt – neben dem Tagesgeschäft versteht sich und bitte ohne Fristversäumnis.
Verrückt, da lassen sich die zahlreichen Anbieter von Kanzleisoftware – von RA-Micro, Advocart, Advolux, Advoware, Annotext, DATEV, Lawfirm, bis STP (um hier nur einige zu nennen) nun ganz moderne Sachen einfallen, installieren alle möglichen Suchfunktionen und integrieren Schnittstellen und dann werden diese Module und Tools aus Kostengründen abbestellt oder gar nicht erst in Erwägung gezogen. Man hat vielfach auch Angst, dass man mit jedem neuen Baustein die Kanzleimitarbeiter schulen muss, denn das gibt es bekanntlich ja auch nicht umsonst. Die Weiterbildung der ReNo soll nichts kosten und wenn doch, dann sollte sie mal schön selbst bezahlen. Nicht, dass sie noch kündigt, wenn sie schlau geworden ist. Es ist übrigens leider nicht selbstverständlich, dass die Kanzleieigner die Kosten für die Teilnahme ihrer Rechtsfachwirtin oder Notarfachwirtin am Rechtsfachwirttag übernehmen.
Digitalisierung kostet Geld und ReNo Gehälter steigen
Ja, Digitalisierung kostet Geld. Da ist eine geübte ReNo im Zweifel sogar noch billiger. Leider ist das ein Trugschluss bei der aktuellen Marktentwicklung. Die Hinwendung zum Bewerbermarkt und der Nachwuchsmangel bei den ReNoPat-Berufen kommt einigen Arbeitgebern im Kanzleimarkt schon heute sehr teuer zu stehen. Wenn heute eine Fachkraft im Kanzleibereich kündigt, sei es nun eine Rechtsanwaltsfachangestellte, eine Notarfachangestellte, eine Patentanwaltsfachangestellte oder eine klassische Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte, dann zahlt man bei einer Neueinstellung definitiv drauf, unabhängig von den Kosten für Zeitarbeitskräfte, Stellenanzeigen, Vermittlungsgebühren und Provisionen für Headhunter und Einarbeitungszeit. Dazu kommt, dass die Neue meist nicht besser oder sogar wesentlich schlechter ausgebildet ist als die, die man verloren hat. Wie will man beurteilen, was die neue Mitarbeiterin kann? Kann die Neue die Fristen berechnen, im Zweifel plädiert der BGH auf Organisationsverschulden. Was kostet eine Fehlbesetzung? In jedem Fall weniger als ein Fristversäumnis. Das klingt hart, ist es auch. Ca. 40 % alles Haftungsfälle im Anwaltsbereich wurden durch Fristversäumnisse verursacht. Das wird übrigens nicht besser, wenn beA am Start ist, es wird nur anders. Der BGH weiß auch dies und ist schon vorbereitet.
Jeder Anwalt, Kanzleieigner und Kanzleimanager sollte sich fragen, wer denn die digitalen Produkte in der Kanzlei nutzt, bedient und damit tagtäglich klarkommen muss. Wenn die Partnerrunde über die neue Softwarelösung mit den Softwarenanbietern verhandelt, sollte die Rechtsfachwirtin oder Rechtsanwaltsfachangestellte einbezogen und gefragt werden. Am besten, man fragt sie nicht nur, sondern hört sie auch an. Wenn im digitalen Zeitalter teuer bezahlte Fachkräfte Adressaufkleber mit der Hand beschriften, nachdem sie die Adresse mit ihrem privaten Smartphone gegoogelt haben, läuft etwas in die falsche Richtung und wird am Ende teuer.
Im Dezember 2018, kurz vor Nikolaus, treffen sich die LegalTech-Vertreter und Software-Anbieter des Kanzleimarktes zum LEGAL®EVOLUTION Expo & Congress 2018 in Darmstadt. Das Programm verspricht eine große Bandbreite an Themen und man gibt sich mit englischsprachigen Beiträgen sehr international. Vielleicht ist das ein Grund, warum die ReNo im Programm wieder einmal nicht vorkommt. Die Englischkenntnisse der Kanzleimitarbeiter lassen ja meist zu wünschen übrig. Ja egal der Anwalt, so eine ReNo wird nun auch nicht den Rechtsmarkt revolutionieren, nicht mit Blockchain arbeiten und nicht den Workflow optimieren. Sie macht eben einfach nur ihren Job und sorgt für den fristgerechten Posteingang bei Gericht.
Dabei fällt mir auf, in dem Programm zum Legal®Evolution Congress ist auch nicht von beA die Rede. Ich vermute, die Firma Atos wird auch nicht als Aussteller unter den Softwareanbietern auf dieser Expo weilen. Schade eigentlich, es gäbe bestimmt viele Fragen der anwesenden Rechtsanwälte. Denn egal, ob man die Digitalisierung und LegalTech begrüßt oder ablehnt, beA trifft jeden der 163.000 Anwälte in Deutschland.
Nicht ganz unerwartet ist beA vor fast fünf Monaten von uns gegangen. Sie erinnern sich, es war kurz vor Weihnachten, dem Fest der Liebe. Aber gerade daran mangelte es ihr wohl, an Liebe. Die meisten Anwälte waren ja froh, dass sie sich nach diesem Überlebenskampf nun gerade noch rechtzeitig der besinnlichen Zeit hingeben konnten. Der letzte Schock, dass man sich als Anwalt selbst mit Sicherheitslücken und De-Installationsanweisungen abgeben sollte, saß der Anwaltschaft noch in den Knochen. Obwohl, in den meisten Fällen hat man die an einem Freitagabend von der BRAK eingehende E-Mail mit dem Betreff: „So deinstallieren Sie die Client Security des beA“ natürlich an die zuständige Rechtsanwaltsfachangestellte der Kanzlei weitergeleitet. Sie hatte ja schließlich auch diese beA-Karten bestellt. Natürlich hat man die Kanzleiangestellte kurz vor 20:00 Uhr telefonisch zu Hause darüber informiert, dass das dringlich ist, weil da mit Sicherheit eine Sicherheitslücke sei. So, damit wäre diese leidige Sache wohl erst einmal aus der Welt.
Aber bei Eintritt eines Todesfalls fängt das Dilemma bekanntlich ja erst an, wer weiß das besser als ein Anwalt. Hunderte Fragen und Probleme tun sich auf, Dinge müssen besprochen und geregelt werden, nicht zuletzt das Erbe. Gibt es denn einen Nachlass oder war beA schon verschuldet? Es melden sich Betroffene und Beteiligte, auch solche, die man vorher gar nicht auf der Agenda hatte. Aber zunächst muss ja erst einmal die Todesursache festgestellt werden, handelt es sich gar um Mord? Hat Atos die Sache verpfuscht? Wer hat denn diese Entwickler überhaupt beauftragt und wie wurde der Auftrag vergeben? Der Ruf nach Aufklärung wird laut, verstummt aber im Anwaltsuniversum fast unerhört.
Watson braucht Sherlock
Ach Sherlock, wärst doch auch du, zusammen mit deinem alten Freund Watson, auferstanden und könntest mit deiner Gabe der Deduktion Licht ins Dunkel bringen. Watson beschäftigt sich den ganzen Tag mit Essen, kann nicht genug Daten in sich hineinschaufeln und die Anwälte müssen sich allein mit dem Fall beA abmühen. Der Fall lässt übrigens einmal mehr zutage treten, wie tief die Anwaltschaft gespalten ist. Während die einen sich in ihrer Kammer mit einem simplen Postfach abmühen und dann auch noch stolz im Geburtsnamen verkünden, dass es etwas ganz besonders sei, düsen die anderen von einer Legal Tech Konferenz zur anderen und verkünden das Ende der menschlichen Intelligenz. Nein, anders rum, sie prophezeien den Sieg der Künstlichen Intelligenz. Egal, ein bisschen mehr Intelligenz könnte dieser Welt ja nicht schaden. Schön wäre, wenn sich die Anwaltschaft mal gemeinsam um die Zukunft des Rechtsmarktes bemühen würde. Das würde übrigens auch das Nachwuchsproblem im ReNo-Bereich lösen helfen, aber das ist eine andere Geschichte.
Grabenkämpfe
In den Kammern der Länder bebt es und in der BRAK rumpelt es gehörig. Es gibt Rücktrittsforderungen und Forderungen anstehende Entlastungen der Verantwortlichen zu verhindern. Es gibt Kammerversammlungen, in denen das Licht ausgeschaltet und der Saal geräumt wird, wenn die „Zeit abgelaufen ist“. Einige prominente Anwälte sammeln jetzt sogar Geld für eine Klage gegen die BRAK und bedienen sich dabei wie selbstverständlich ganz neumodischer Dinge wie Crowdfunding. Vielleicht ist es ja das stille Vermächtnis von beA, dass der tiefe Graben zwischen Allgemeinanwalt und Wirtschaftskanzlei nun etwas zugeschüttet wird. Vielleicht siegt ja die Erkenntnis, dass die Digitalisierung keine Grenzen kennt. Letztlich sitzen am Ende alle Anwälte doch in der gleichen Kammer.
Da wächst kein Gras drüber
Aber zurück zu beA. BeA muss ja nun endlich ein anständiges Begräbnis bekommen. Aber auch hier kann man sich nicht einigen. Während die einen die sterblichen Reste unter der Erde verscharren möchten, um den Prozess der inneren Fäulnis schnellst möglich abzuschließen und Gras über die Sache wachsen zu lassen, fordern die anderen eine Windbestattung. Die Asche soll in alle Winde verstreut werden. Das heißt dann „open source“ und beinhaltet die Veröffentlichung des Quellcodes dieses unsäglichen Programms. Die Befürworter werben für diese Methode mit einer höheren Sicherheit. Ich befürchte allerdings, diesen Gedankengang, dass etwas sicherer wird, wenn man es öffentlich macht, können Anwälte von Berufswegen nicht nachvollziehen. Und ob die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung das Ende vom Lied ist, weiß auch keiner so genau. Zwischenzeitlich ist dann auch mal das Rechtsanwaltsregister (BRAV) offline, nachdem dieser Golem wieder eine Sicherheitslücke entdeckt hat, die die BRAK dann auch nicht länger verschweigen kann.
Glauben Sie an Auferstehung?
Trotzdem glauben einige noch an beA´s Auferstehung. So wie in einem der vielen schönen Märchen der Gebrüder Grimm, die zur Weihnachtszeit über den Flatscreen flimmern. Von Ferne kommt dann ein mutiger Prinz auf einem weißen Pferd, löst drei knifflige Rätsel, besteht noch drei tollkühne Mutproben, zerschlägt die Dornenhecke mit dem Schwert seines Vaters und küsst beA wach. Sie lächelt ihn an, schöner und reifer als je zuvor. Morgen ist Hochzeit im Königreich der Anwälte. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann streiten sie noch heut…
P.S. Kürzlich hat mich eine Rechtsanwaltsfachangestellte gebeten, sie nur in Kanzleien zu vermitteln, die nicht mit beA arbeiten. Nichts leichter als das!
Die alarmierende und ebenso traurige Nachricht erreichte uns gestern nach einem #beAthon. Unsere beA ist in ihrer Kammer verstorben. Ihre Betreuer haben sich nach Erscheinen eines Golems dazu entschieden, die lebenserhaltenden Maßnahmen zu beenden und die Maschinen abzuschalten. Unsere beA ist langsam, doch fast unbemerkt und unter Ausschluss der Öffentlichkeit eingeschlafen. Bis zuletzt haben ihre Erzeuger mit Nachdruck behauptet, sie sei zu retten und eigentlich gesund. Dabei deutete bereits ihre komplizierte Geburt, es war eine Risikogeburt, schon auf ein schwächelndes Kind hin. Sie stecke zu lange im Geburtskanal und erblickte nicht ohne Nachdruck, de facto als Zangengeburt, das Licht des Anwalt§universums.
Dabei hatte sie durchaus eine üppige Ausstattung erhalten. Mehr als 160.000 Patenonkel und Patentanten sorgten schon vor der Geburt für den digitalen Nachwuchs. Obwohl es kein Wunschkind war, mussten sie ihr ja alles anvertrauen und sie zeitlebens in ihre Geschäftsgeheimnisse einweihen. Landesweit wurden Gruppen gebildet und Lehrer bemühten sich jeden sorgfältig auf sie vorzubereiten, ihm beizubringen wie er mit der sensiblen beA umzugehen habe.
Von Beginn an war beA ein Schlüsselkind. Was für ein Vertrauensvorschuss! Sie bekam Lesegeräte und Schlüsselkarten. Die digitalen Dienstleister des Landes trafen Vorkehrungen und entwickelten Lösungen, um mit beA zu kommunizieren, aber alles umsonst. Sie hat es nicht einmal versucht.
Kurz vor Weihnachten war beA im Club. Schon der Name: Chaos Computer Club ließ nichts Gutes erahnen. Ihre Erzeuger und Betreuer wurden sofort stutzig. Das konnte ja nicht gut gehen, wenn sich so ein junges Ding mit Hackern rumtreibt und noch dazu in Darmstadt. Und siehe da, es gab Krach. Schon die Herren an der Tür meinten, beA wäre ein Sicherheitsrisiko. Markus sagte freundlich, aber nachdrücklich: beA kommt hier nicht rein. Nicht mit diesem durchsichtigen Fummel und Löchern in den Jeans. Ihre Erzeuger und Kammerdiener stellten sich schützend vor beA und drohten mit rechtlichen Konsequenzen. Aber es war zu spät, beA war nun im Visier der Datenschützer. Man hat ihr die Schlüssel weggenommen, beA wurde zum Sicherheitsrisiko. Nur ein einziger Clubbesuch und gleich so ein Desaster! Bea weinte bitterlich.
Ihre Betreuer gaben ihr einen neuen Schlüssel, der die Sache noch schlimmer machte.Ihre Paten schimpften und bereuten den Vertrauensvorschuss und vor allem das schöne Geld. Aber sie hatten es ja geahnt. Dann ging alles ganz schnell. Die Clubbetreiber wurden zu beA befragt. Es gab eine Anhörung und Stellungnahmen und tausende Tweeds mit #beA. Nun konnte das junge und unerfahrene Ding dem Druck nicht mehr standhalten. Ihre Paten wendeten sich nun in Scharen von ihr ab, einige wollten gar ihr Geld zurück. Aber das hatten ja ihre Erzeuger in ihre üppige Ausstattung gesteckt. BeA legte sich in ihre dunkle Kammer und wollte einfach nur ihre Ruhe haben. Keinen beAthon mehr, keine Kammersitzung und vor allem keine #beA. Sie bekam strenge Bettruhe und wurde kurz vor Weihnachten und vor der Bescherung ins künstliche Koma versetzt. Ihre Erzeuger haben, obwohl die Schwäche und ihre Verletzungen sichtbar waren, die Nachricht verbreitet, dass es beA wieder gut geht. Aber das war gelogen. Sie hatten ihr gar keine Medizin gegeben, sondern nur die Wunden mit Pflaster bedeckt.
Gestern, nach besagtem beAthon, wurden beAs Paten nun aufgerufen, sich von ihr zu trennen und die elektronische Verbindung zu deinstallieren. Es ist für alle das Beste, seien Sie sich dessen sicher. Aber unsere beA hat in jedem Fall ihrem Namen alle Ehre gemacht, sie war etwas ganz besonders – das besondere elektronische Anwaltspostfach.
P.S. Sie sollten ab heute an Auferstehung oder Wiedergeburt glauben. BeA ist abgeschaltet, deinstalliert und de facto gestorben. Aber die Digitalisierung lebt und wird neue Kinder in die Welt setzen. Man sollte sich vor dem nächsten Versuch allerdings die richtigen Eltern aussuchen und das Kind nicht in einer Kammer zur Welt bringen.
Am Westeingang der Essener Messe wehten Ende Mai weiße Flaggen. Dies ist jetzt nicht gleich als Zeichen der Kapitulation zu deuten, die Fahnen trugen das rote Logo des DAV. Ein aufgespanntes Banner mit dem Motto des 68. Deutschen AnwaltstagesInnovationen & Legal Tech wies den angereisten Anwältinnen und Anwälten aus ganz Deutschland für drei Tage den Weg in die digitale Zukunft. Die jährliche Tagung des anwaltlichen Traditionsvereins richtete sich an die ca. 6.600 in 250 Ortsgruppen organisierten Mitglieder des DAV. Etwa 1.700 Frauen und Männer, von deutschlandweit über 165.000 zugelassenen Rechtsanwälten und Notare, folgten dem Ruf Ihres Präsidenten Ulrich Schellenberg und vielen namhaften Referenten sowie den Ausstellern der traditionell in diesem Rahmen stattfindenden AdvoTec.
Zwischen Print und App
Die auf Digitalisierung fokussierte Veranstaltung wurde mit dem organisatorischen Hinweis eingeleitet, dass die thematische Beilage der NJW leider nur in gedruckter Form vorliegt, aber sich jeweils ein Exemplar in der ausgegeben Tagungstasche befindet.
Digitale Dokumente sind jederzeit in unbegrenzter Anzahl verfügbar und müssen nicht einmal umständlich umher getragen werden. Das ist ein Vorteil, auch wenn die Tagungstasche, in Anlehnung an einen Jute-Beutel, in diesem Jahr sogar ziemlich hip wirkte. Als weiteres digitales Highlight wurde die App angekündigt, die eigens für den DAT programmiert wurde. Man wurde ermutigt, sich dort zu personalisieren, mit anderen Teilnehmern zu vernetzen, E-Mails zu versenden, sogar zu chatten, sich sein digitales Programm zusammenzustellen und die besuchten Veranstaltungen in Anschluss zu bewerten. Die Nutzung dieses digitalen Angebotes wurde vor allem von den Veranstaltern und Referenten genutzt. Die Teilnehmer markierten, unter Verwendung eines mit einem beliebigen Ausstellerlogo versehenen Kugelschreibers, in bewährter Form die Fachvorträge im Programmheft und addierten dort schon mal die als fachliche Weiterbildung anrechenbaren Stunden.
Eine App ist sinnvoll, wenn sie einen spürbaren Mehrwert bietet. Wenn man das Programmheft ohnehin am Eingang in die Hand bekommt und im Rahmen der Veranstaltung die Gelegenheit hat, persönliche Gespräche zu führen, dann ist sie entbehrlich. Hätte man in der App allerdings einen Downloadbereich für die angekündigten Skripte eingerichtet und hätten die AdvoTec Aussteller die App als Plattform für ihre digitalen Angebote genutzt, dann wäre die Application sogar über die drei Veranstaltungstage hinaus sehr nützlich gewesen.
Tipp für den nächsten DAT: Fotografieren Sie während der Veranstaltung mit Ihrem Smartphone die Folien, denn die meisten Skripte werden dann doch nicht wie versprochen zum Download bereit gestellt.
Das Thema: Innovationen & Legal Tech
Ein Zukunftsthema ist immer eine Herausforderung, denn ist es zu befürchten, dass in der Zukunft nichts mehr so ist, wie man es kennt. Zukunft verlangt Anstrengung, Veränderung und Anpassung. Zudem verbindet man den Begriff Innovationen nicht spontan mit der rechtsberatenden Zunft. Aber hier fand sich der Anwalt nicht einmal im Titel wieder, stattdessen springt ihm dieses englische Legal Tech ins Auge. Manch Teilnehmer hat sich wohl gefragt, ob er sich bei diesem Thema überhaupt angesprochen fühlen sollte. Ist das nicht vielleicht eher etwas für die anderen, für diese Lawyer, die Wirtschaftsjuristen, ParaLegal und Wirtschaftsanwälte, also die aus den Großkanzleien?
Ein Referent fragte vor Beginn interessiert in die Runde: „Ist jemand aus einer Großkanzlei hier?“ Eine Dame melde sich etwas zaghaft. „Sie dürfen bleiben!“ schallte es lachend vom Podium.
Es gibt kaum einen Wirtschaftszweig, der so heterogen ist wie der juristische Bereich, deshalb bekommt hier auch jeder sein eigenes Stückchen Zukunft. Es gab bereits einige Zukunftsveranstaltungen (mit überwiegend den gleichen Referenten), die vornehmlich ihre jeweilige Zielgruppe erreichten – den Wirtschaftsanwalt oder den Unternehmensjuristen oder nun auch den Allgemeinanwalt. Bereits 2016 gab es den 1. Anwaltszukunftskongress in Köln, initiiert von Wolters Kluwer und Soldan. Dort waren vornehmlich die Kanzleien vertreten, die den Digitalisierungsdruck bereits von ihren angloamerikanischen Mutterhäusern oder internationalen Mandanten zu spüren bekommen, die größere Budgets für technische Lösungen, und die englische Sprache bereits im Haus haben. Trotzdem war auch hier zu beobachten, dass man erst einmal abwartend guckt und abwägend hört, was da so auf einen zukommt. Die deutschen Juristen warten, wie nicht anders zu erwarten, noch etwas skeptisch, was Ihnen denn die Zukunft bringt. Das Neue dringt eher von außen, durch andere und nicht ohne Gegenwähr in die Branche. Dies wiederum stärkt die im Bauch angelagerte Befürchtung, dass diese digitale Transformation doch eher ein Risiko für den Berufsstand darstellt.
Ein Berufsstand, der seine Examensklausuren immer noch mit der Hand schreibt, und sich damit bestens für seine Arbeit bei Gericht qualifiziert, der sich zudem tagtäglich damit auseinandersetzt, was passiert, wenn man sich nicht an bestehende Regeln und Gesetze hält, der wird von sich heraus kein Treiber von Veränderungen werden.
Soldan Institut : Anwälte sehen von sich heraus in Legal Tech mehr Risiken als Chancen
Auf den ersten Blick sehen die Betroffenen in Legal Tech etwas, was von außen und von anderen in den juristischen Bereich eindringt, ihn aufbrechen, womöglich aushöhlen oder sogar abschaffen könnte. Eine Gefahr für den Berufsstand, ein Geschäftsrisiko für den Anwalt, irgendetwas aus Amerika, was auf Technik und Daten basiert, etwas Unbekanntes, das der Mandant auf keinen Fall wollen würde, das man mit allen Mitteln aufhalten muss – notfalls bemüht man das anwaltliche Berufsrecht. Irgendeinem der ca. 150.000 der BRAO und BORA verpflichteten Berufsträgern wird da schon etwas einfallen. Das hat bei beA ja auch funktioniert, zwischenzeitlich jedenfalls. Bis der Gesetzgeber eine überfällige Entscheidung trifft, und damit die Anwaltschaft zum Handeln zwingt, kann man erfahrungsgemäß alles aussitzen. Das sollte im Fall von Legal Tech nun anders werden – der DAV will sich öffnen und jeden einzelnen Anwalt in diesem Berufsverband auf die Reise in die Zukunft mitnehmen. Und das tut Not, wie eine aktuelle Umfrage des Soldan Instituts zeigt. Ein Großteil der Anwälte hat sich mit Legal Tech noch gar nicht beschäftigt oder sieht es eher als Gefahr. Die Gefahr ist bei Unbekanntem ja bekanntlich am größten. Und der Jurist liebt allein schon dieses Wort, fühlt er sich doch dazu berufen, Gefahren bei anderen zu erkennen und abzuwenden, nachdem er sie in den dunkelsten Tönen herauf beschworen hat. Das Thema des DAT war also gut gewählt. Der Deutsche Anwaltsverein widmet sich nun, neben der Bundesrechtsanwaltskammer und dem Bundesverband der Unternehmensjuristen, dem technologischen Fortschritt und seiner Auswirkungen für den Anwaltsmarkt. Ein engagierter Anfang.
In der Nachschau zum DAT fragte man die Mitglieder vorsichtshalber noch einmal, ob man das Thema weiter verfolgen sollte. Obwohl sich die Frage wohl gar nicht stellt, denn zum DAT 2018 ist zumindest beA schon verpflichtend anzuwenden. Der digitale Zug ist bereits auf der Schiene.
Im besten Fall könnte das Engagement der Berufsverbände dazu beitragen, aus den noch stark abgegrenzten Segmenten des juristischen Marktes einen gemeinsam agierenden deutschen Rechtsdienstleistungsmarkt zu formen. Schließlich hat man ja nun einen gemeinsamen Feind – die Legal Tech Unternehmen oder besser die Legal Tech Startups – das verbindet. Jede gute Geschichte braucht einen Bösewicht. Marketingstrategen wissen das. Die Legal Tech Firmen nehmen gezielt die Schwächen der Anwaltschaft ins Visier – konservativ, unflexibel, intransparent, introvertiert, ineffizient und für den Mandanten gefühlt viel zu teuer. Die sonst so kämpferischen Rechtsanwälte finden (noch) wenig Argumente dagegen und scheitern leider an ihrer mangelnden Selbstdarstellung oft auch schon am Selbstbewusstsein oder gar am Selbstverständnis. Marketing, vor allem Selbstmarketing, ist dem Anwalt immer noch fremd, was im Angesicht des Feindes nun sehr offen zu Tage tritt. Übrigens, sich selbst toll zu finden und die Juristierei als einzig wahre Profession anzusehen, ist kein Selbstmarketing, sondern mangelnde Selbstreflexion.
Legal-Tech-StartupCorner
Die Unternehmen, die sich mit digitalen Lösungen und Geschäftsfeldern im juristischen Bereich beschäftigen, stecken selbst noch in den Kinderschuhen und so haben sie auf dem DAT innerhalb der AdvoTec auch eine Ecke bekommen, in der sie sich vorstellen durften. Auf Englisch klingt das positiver: Legal-Tech-StartupCorner. Dort traf man u.a.: Jurato, TalentRocket, FragRobin, Vertragsmacher, Helix, Streamlaw, Comidio, Lawlift, Rechtsmart, Glasapfel, ArenoNet, Caspier, Legalvisio, HDCM, jure SPM, HB Group, Advotools und TresorData
Die Angebote kann man in verschiedene Gruppen gliedern: Programme zur Unterstützung der Mandatsarbeit und zur Kanzleiorganisation, Plattformen zur Vernetzung, insbesondere zwischen Anwalt und Mandant, digitale Speicher und Kommunikationswege und schließlich Software, die Rechtsdienstleistungen im weitesten Sinne selbst erledigen kann. Eine aktuelle Liste der deutschen Legal Tech Startups finden Sie hier: Tobschall – Legal Tech
Dass auch die Eigenwerbung der Newcomer nicht immer ganz gelungen war, sah so mancher Anwalt beim Vorübergehen auf den ersten Blick. „Sie garantieren mir den besten Arbeitsrechtler in meiner Stadt? Ganz dünnes Eis, rief die Anwältin dem jungen Mann am Messestand zu, wie wollen Sie das denn garantieren? „Wo steht das? Ach, das ist doch nur der Spruch auf unserem Werbebanner!“
Was ist Legal Tech?
Die eingangs erwähnte Beilage der NJW enthält ein Glossar, das den Begriff Legal Tech zwar nicht aufführt, aber beim Lesen der ausführlichen Artikel und Beiträge zu dem Thema weiterhilft.
Legal Tech ist die Verbindung von Recht und Technologie. Technisierung und Digitalisierung sollen genutzt werden, um juristische Dienstleistungen in guter Qualität, kostengünstig, transparent, schnell, unabhängig von Ort und Zeit jedem Bürger zugänglich zu machen. Dies passiert durch Einsatz modernster Datenverarbeitungs- und Speicherlösungen, durch Standardisierung, Datenanalyse und in erster Linie durch Masse. Erst die Masse an Fällen ermöglicht durch Datenanalyse valide Zahlen und Lösungen abzuleiten. Nur die Masse an Mandaten ermöglicht die Nutzung der technischen Voraussetzungen und die Gewinnung des notwendigen Know how. Erst die Identifizierung von Routinen macht es möglich, immer wiederkehrende Abläufe auf Maschinen wie Watson, Leverton oder Anwalts-Ross zu übertragen.
Aber jeder Fall ist anders! hört man den Anwalt warnend rufen.
Ja, aber viele Fälle sind ähnlich, die hast du nur nicht auf deinem Schreibtisch, entgegnet der BWLer.
Ich habe die Daten schon in meiner Cloud gespeichert, lacht der IT-ler.
Aber nur ich darf zu Gericht gehen, frohlockt der Anwalt.
Dazu wird es gar nicht erst kommen, kontert der BWLer.
Ich habe die Daten schon ausgewertet, meldet der IT-ler.
Aber der Mandant vertraut mir persönlich, erwidert der Anwalt.
Aber nur bis er merkt, dass er bei mir Geld und Zeit spart, entgegnet der BWLer.
Außerdem redet der Mandant auch mit einem Chatbot, zwitschert der IT-ler.
Aber ich fahre mit dem Mandanten und seiner Familie in meinem Boot, also rein privat…
Das Spiel können Sie gern aus Ihrer ganz persönlichen Sichtweise weiterführen, vergessen Sie aber nicht, dass stets der Mandant der Gewinner sein sollte.
Ein Best Practice wurde in der Fachgruppe Arbeitsrecht vorgestellt. Die Wirtschaftskanzlei CMS greift das aktuell brennende Thema Fremdpersonaleinsatz auf und entwickelt aus der vorhandenen Masse an Fällen das Programm FPE.
„Zur Vermeidung von Scheinselbstständigkeit und von sogenannten Scheinwerk- / Scheindienstverträgen hat CMS das onlinebasierte Produkt FPE (Fremdpersonaleinsatz) entwickelt, mit dem Ihr Unternehmen in nur wenigen Minuten eine belastbare Prüfung des Einsatzes von Fremdpersonal vornehmen kann. FPE basiert auf den Erkenntnissen und Erfahrungen, die CMS in vielen Tausend vormals „händisch“ geprüften realen Situationen gewonnen hat.“ Website FPE
Noch sitzen aber die Juristen bei dem Thema Legal Tech auf der einen Seite und die Technologen auf der anderen. Der eine hat das Recht und die Zulassung, der andere hat die Technik und den Investor. Und so beobachtete der DAT Besucher zuweilen Juristen mit verschränkten Armen neben wild gestikulierenden Gründern. Ein konstruktiver Dialog kam leider kaum zustande. Zum Abschluss sagte der BWLer zum Anwalt: „Du wirst schon sehen, dass ich Recht habe!“ Was der Anwalt dachte, war nur zu ahnen.
Die größte Herausforderung der Zukunft ist nicht die Bewältigung der Technik, sondern die Verhaltensanpassung der Menschen.
Legal Tech ist die einerseits erzwungene und andererseits zwingende Allianz von zwei sehr verschiedenen Arbeitsfeldern, Wissensgebieten, Denkschulen, Herangehensweisen und Berufsgruppen. Man muss nun zusammenfinden.Innovationen entstehen zwar dort, wo Probleme sichtbar werden, aber sie gedeihen nicht auf dem Schlachtfeld, sondern können nur in einem kreativen Umfeld gemeinsam entwickelt werden. Irgendetwas mit Investorengeldern zu entwickeln, das Anwalt dann kauft, weil man ihm sagt, es ist besser als das, was er selbst kann, wird nicht funktionieren. Und die juristischen Felder, die gänzlich ohne Anwalt auskommen, sind (noch) begrenzt. Sich aber andererseits den technischen Möglichkeiten zu verschließen und vor allem die Bedürfnisse der jungen Mandanten zu ignorieren, nur weil man eine Zulassung hat, wird zwangsläufig in den wirtschaftlichen Ruin führen.
Digitalisierung 4.0 – Branchenbeben
Aber der Rechtsbereich ist nicht die erste Branche, der von Investoren einfach ein Tech hintendran gehängt wird. Mit FinTech – im Finanz- und Bankensektor und InsurTech – in der Versicherungsbranche – haben seit einigen Jahren Startups die Digitalisierung von Produkten, Prozessen und Kommunikationswegen in beratungsintensiven Geschäftsfeldern voran getrieben. Übrigens haben die Wirtschaftsanwälte dort kräftig mitgemischt, schließlich muss man ja bei den anderen schauen, ob alles rechtens ist und sich um Regulierung, Gewerblichen Rechtsschutz, Compliance und Datenschutz kümmern. Das, was man dort extern beraten hat, trifft jetzt die eigene Branche. Das hätte so mancher Jurist wohl gern vermieden, nicht nur, weil man sich selbst dafür keine Honorarrechnungen stellen kann, sondern weil es viel zusätzliche Arbeit macht. Das allerschlimmste ist aber, dass man etwas Gewohntes, was ja durchaus gut funktioniert (hat), nun ändern soll. Und nur weil andere, die keine Zulassung haben, ja oft nicht einmal Juristen sind, neuerdings der Meinung sind, sie könnten sich ein Stück vom juristischen Kuchen abschneiden. Der Feind im Haus heißt Legal Tech.
Digitalisierung kommt nicht, sie muss gemacht werden.
Aber geht es denn bei der Digitalisierung des Rechtsmarktes wirklich nur darum, den anwaltlichen Wirkungskreis zu beschneiden? Geht es nicht vielmehr darum, den Zugang zum Recht für jeden Bürger zu erleichtern, die Kommunikation zwischen Ratsuchende und Beratern zu verkürzen, zu verbessern, zu beschleunigen und transparenter zu machen? Geht es nicht eher um eine sichere Bearbeitung der Mandate, um eine qualitätsgerechte und effiziente Kanzleiorganisation, die den Anforderungen des Berufsrechts und den Vorgaben von Compliance und Datenschutz gerecht wird? Sollte es nicht um Qualitätssicherung, einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess (KVP) und eine Entlastung der Mitarbeiter gehen?
Die AdvoTec zeigte einen guten Überblick, was technisch zukünftig möglich und derzeit digital machbar ist, um Arbeitsprozesse zu optimieren, die Kommunikation zu verbessern, die Berater von Routinen zu befreien, die anwaltliche Beratungsleistung zu unterstützen und neue Mandanten zu gewinnen. Aber der Anwalt muss die Dinge auch annehmen. Für manche ist das schon eine Frage der Investitionskosten. Es gibt nichts geschenkt, nicht einmal eine unsichtbare Wolke. Will ich eine datensichere Cloud nutzen, entstehen monatliche Kosten. Bin ich als Notar gezwungen meine Urkunden zu archivieren, kostet mich allein der Scanner über 1.000 Euro. Nicht mal die beA-Karte gibt es umsonst. Aber letztlich ist das Geld für die meisten doch zweitrangig.
Wenn eine mittelständische Kanzlei seit über einem Jahr eine ReFa mit sehr guten Englischkenntnissen sucht, nur weil alle zwei Monate mal ein Phonodiktat auf Englisch geschrieben werden soll, fragt man sich, ob denn die Nutzung von digitalen Schreib- und Übersetzungsdiensten nicht die kostengünstige Alternative wäre. Aber man diktiert noch auf Kassette und ist damit auch ganz zufrieden.
In erster Linie ist es eine Einstellungsfrage. Man muss die neue Technik wollen, man muss davon überzeugt sein, dass der Nutzen erheblich ist, dass man täglich Zeit und Geld spart und im besten Fall Gewinn macht. Genau das wird aber bei den Produkten und Präsentationen oft nicht sichtbar. Was auch daran liegt, dass all das, was zwischen Aktenanlage, Texterfassung, Dokumentenbearbeitung und Kanzleiorganisation passiert, nicht von den Anwälten selbst, sondern überwiegend von ihrem Personal erledigt wird. Die Rechtsanwalts- und Notarfachangestellten und vor allem die Fachwirte wüssten sehr wohl, was sie zur Unterstützung ihrer Arbeit brauchen und wie es funktionieren sollte. Allerdings werden sie in diese Entwicklungen und Entscheidungen nicht eingebunden.
Der jährlich stattfindende Deutsche Rechtsfachwirttag verzichtet übrigens auch in diesem Jahr auf das Thema Legal Tech und kümmert sich wie bisher um Kosten- und Gebühren, Fristen und Rechtsprechung.
16% der kürzlich von Soldan befragten Anwälte denkt, dass die Digitalsierung nichtanwaltliches Hilfspersonal überflüssig macht. Es ist nur zu hoffen, dass die anderen 84% wiessen oder zumindest ahnen, dass die Digitalisierung vor allem von dem gut qualifiziertem Kanzleipersonal durchgeführt wird.
Hast du schon so eine beA Karte beantragt? fragt der Anwalt bei Kartoffelsalat und Würstchen sein Gegenüber. Ja, ich habe das meiner ReFa gegeben, die soll sich mal darum kümmern. Sie kann dann auch diese beA-Schulung besuchen, sie will sich ja immer weiterbilden, antwortet er lachend und kauend.
Der Rechtsdienstleistungsmarkt hat ein eklatantes Nachwuchsproblem. Dass die Zahl der Zulassungen in der Anwaltschaft seit dem Vorjahr fast stagniert (+0,42) wurde mit großer Besorgnis mehrfach auf dem DAT kundgetan, dass die Zahl der nichtanwaltlichen Mitarbeiter und vor allem der Auszubildenden in den ReNoPat-Berufen seit Jahrzehnten stark rückläufig ist, wird (wenn überhaupt) meist nur am Rande erwähnt. Auf dem DAT 2017 erhielt die ReNo nun kurz vor Veranstaltungsschluss auf der AdvoTec einen eigenen Programmpunkt. Man fragte sich in kleiner Runde, warum es denn keinen Nachwuchs für diesen doch so tollen Beruf gibt?
Die Bemerkung eines Kanzleieigners: „Das bisschen Tippen kann ich dann auch noch selber machen, mit der Digitalisierung werden die doch sowieso überflüssig.“ bringt die Sache auf den Punkt und wird nur von der Aussage einer ReFa getoppt: „Ich will nicht in einem Umfeld arbeiten, in dem man immer angeschrien wird.“
Es ist nicht (nur) das Geld, was den Beruf für junge Menschen unattraktiv und teilweise sogar inakzeptabel erscheinen lässt. Aber Geld ist auch hier die einzige Idee, dem Nachwuchsmangel zu begegnen. Eine bessere Ausbildungsvergütung ist längst überfällig, aber keine Lösung des Problems.
Wie ernst die Lage ist, wurde in der Fachgruppe Notariat erschreckend deutlich. Man fand klare Worte aber auch hier keine Lösung. Thema der Notare war das „Gesetz zur Neuordnung und Aufbewahrung von Notariatsunterlagen und zur Einrichtung des Elektronischen Urkundenarchivs bei der Bundesnotarkammer.“Die Einrichtung eines zentralen, digitalen Urkundenarchivs erledigt man nicht mal so nebenbei und auch nicht irgendwie, das ist ein Großprojekt für das, so viel steht fest, kein zusätzliches Personal vorhanden ist. In der Fachgruppe schätz man, dass die Digitalisierung der Urkunden in pro Notar eine zusätzliche Fachkraft beansprucht. Zum fachgerechten Scannen der Papierurkunden beschäftigt man schon zusätzlich Bibliothekare, die sind darin geübt und haben die Digitalisierung ihrer Bestände schon hinter sich. Aber die sachliche Erschließung der Urkunden muss von einer Fachkraft erledigt werden, die beim Notar angestellt ist.
Hier ein Hinweis von der Recruiterin: Es hilft nichts, Stellenanzeigen zu schalten, es genügt auch nicht, die Brieftasche aufzumachen, der Markt ist seit Jahren ausgebrannt. Hier muss man sich einmal gemeinsam in eine Kammer setzen und eine Strategie entwickeln.
Ansonsten ist das Elektronische Urkundenarchiv aber die richtige Entscheidung, denn vor dem Einsatz von all diesen tollen technischen Möglichkeiten, Maschinen und Wolken steht immer das Aufräumen und Ordnen. Insofern müssen sich alle darauf einstellen, dass die Digitalisierung in den nächsten Jahren sehr viel mehr Arbeit mit sich bringt, Geld, Zeit und Geduld kostet. Von den Legal Tech Anbietern wünscht man sich an der Stelle wesentlich mehr Transparenz, Offenheit und Ehrlichkeit. Sicher ist vieles ganz toll, aber erst in der Zukunft. Das besondere am juristischen Bereich ist, dass der Anwalt sein Wissen in seinem Kopf hat. Nur er weiß, wie er seine Mandate bearbeitet und seine Kanzlei organisiert, er entscheidet, welche Aufgabe er abgibt und wie diese dann zu erledigen ist. Der Anwalt hat die Kanzleiorganisation in seinem Kopf. Wie schwer es ist, an dieses Wissen heran zu kommen, erleben all die, die sich um die Erstellung von Kanzleihandbüchern und um die Einführung von Qualitätsmanagementsystemen im Rahmen der ISO-Zertifizierung bemühen. Meist sind dies übrigens die Rechtsfachwirte. Das es nun Branchenfremden ad hoc gelingen sollte, solche fremden Dinge wie Cloud, blockchain, smart contracts und künstliche Intelligenz in das Kanzleimanagement zu integrieren, ist eher unwahrscheinlich.
Hoch zu Ross
Die Ankündigungen von Blockchain, Cloud, künstlicher Intelligenz, Chatbots und Roboter-Anwalt Ross gehören durchaus zu einem innovativen Kongress, sind aber dennoch Zukunftsmusik. Der Anwalt hat hier und jetzt ganz andere Probleme. Da steht immer noch diese beA vor der Tür, die Notare geben auf einmal den Takt vor und wollen jetzt auch noch das Urkundenarchiv digitalisieren. In der Fläche schließen derweil kleinere Amtsgerichte aufgrund von Unwirtschaftlichkeit und machen aus dem Allgemeinanwalt einen Alleinanwalt. Und dann fährt man auf dem Weg nach Essen immer noch durch W-LAN-freie Zonen. Die Wirklichkeit liegt irgendwo zwischen Roboter-Anwalt Ross und Rosskur für den Anwalt.
Arbeit zwischen Industriemuseum und Digitalisierung
Mit dem DAV 2017 ist das Thema Digitalisierung nun in der Fläche angekommen. Weit weg vom Legal Tech Hackerton in Berlin und Legal Tech Meetup in Frankfurt am Main konnte jedes DAV-Vereinsmitglied drei Tage lang in Essen über seinen Platz im Anwalt§universum nachdenken. Im Anblick der Alten Zeche Zollverein wurde wohl jedem klar, dass das Zeitalter der Industrialisierung nun Geschichte ist. Das Gelände wurde museal erschlossen und demonstriert massiv und kraftvoll die körperliche Arbeit, ja früher war sie noch sichtbar. Die Arbeit – das, was unser Leben so vehement bestimmt – hat sich langsam verflüssigt, verlangt nach Gleitzeit, virtuellen Räumen und künstlicher Intelligenz. Digitale Arbeit ist nicht sichtbar, schwer fassbar, sie fließt dahin mit den Datenströmen und mit ihr unser Leben. Alles wird schneller, komplexer, vernetzt sich und verschwindet irgendwann in der Cloud.
Die Rolle des Anwalts in der digitalen Gesellschaft
Der Rechtsanwalt wird nicht überflüssig! Die Anwaltschaft muss sich nur ihrer gesellschaftlichen Rolle im Zusammenhang mit Innovationen und Digitalisierung bewusst werden. Der Anwalt vertritt nicht nur seinen Mandaten, sondern auch die vernetzte menschliche Gesellschaft. Hier besteht eine enorme Erwartungshaltung, nicht nur vom Mandanten, der ein Filesharing Problem hat, sondern von der Justiz, der Politik, der Wirtschaft und der Gesellschaft. Wie keine andere Berufsgruppe, sind die Juristen gefordert, die Digitalisierung der Gesellschaft zu begleiten, zu regulieren und menschlich zu gestalten. Bessere Technik, macht nicht zwangsläufig besseres Recht, wie die Arbeitsgruppe auf dem DAT richtigerweise feststellte. Anstatt gegen Legal Tech zu kämpfen, sich resigniert zurückzuhalten oder gar zu kapitulieren, ist es die Zukunftsaufgabe der Juristen, für eine menschenwürdige, digitale Gesellschaft einzutreten. Und da gibt es bereits in der Gegenwart sehr viel zu tun. Die Digitalisierung ist eine große Chance für die Anwaltschaft.
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