#DAT2017 Innovationen & LegalTech

  #DAT2017 Innovationen & LegalTech Am Westeingang der Essener Messe wehten

 

DAT 2017 Messe Essen

#DAT2017 Innovationen & LegalTech

Am Westeingang der Essener Messe wehten Ende Mai weiße Flaggen. Dies ist jetzt nicht gleich als Zeichen der Kapitulation zu deuten, die Fahnen trugen das rote Logo des DAV. Ein aufgespanntes Banner mit dem Motto des 68. Deutschen Anwaltstages Innovationen & Legal Tech wies den angereisten Anwältinnen und Anwälten aus ganz Deutschland für drei Tage den Weg in die digitale Zukunft. Die jährliche Tagung des anwaltlichen Traditionsvereins richtete sich an die ca. 6.600 in 250 Ortsgruppen organisierten Mitglieder des DAV. Etwa 1.700 Frauen und Männer, von deutschlandweit über 165.000 zugelassenen Rechtsanwälten und Notare, folgten dem Ruf Ihres Präsidenten Ulrich Schellenberg und vielen namhaften Referenten sowie den Ausstellern der traditionell in diesem Rahmen stattfindenden AdvoTec.

Zwischen Print und App

Die auf Digitalisierung fokussierte Veranstaltung wurde mit dem organisatorischen Hinweis eingeleitet, dass die thematische Beilage der NJW leider nur in gedruckter Form vorliegt, aber sich jeweils ein Exemplar in der ausgegeben Tagungstasche befindet. 

Digitale Dokumente sind jederzeit in unbegrenzter Anzahl verfügbar und müssen nicht einmal umständlich umher getragen werden. Das ist ein Vorteil, auch wenn die Tagungstasche, in Anlehnung an einen Jute-Beutel, in diesem Jahr sogar ziemlich hip wirkte. Als weiteres digitales Highlight wurde die App angekündigt, die eigens für den DAT programmiert wurde. Man wurde ermutigt, sich dort zu personalisieren, mit anderen Teilnehmern zu vernetzen, E-Mails zu versenden, sogar  zu chatten, sich sein digitales Programm zusammenzustellen und die besuchten Veranstaltungen in Anschluss zu bewerten. Die Nutzung dieses digitalen Angebotes wurde vor allem von den Veranstaltern und Referenten genutzt. Die Teilnehmer markierten, unter Verwendung eines mit einem beliebigen Ausstellerlogo versehenen Kugelschreibers, in bewährter Form die Fachvorträge im Programmheft und addierten dort schon mal die als fachliche Weiterbildung anrechenbaren Stunden.

Eine App ist sinnvoll, wenn sie einen spürbaren Mehrwert bietet. Wenn man das Programmheft ohnehin am Eingang in die Hand bekommt und im Rahmen der Veranstaltung die Gelegenheit hat, persönliche Gespräche zu führen, dann ist sie entbehrlich. Hätte man in der App allerdings einen Downloadbereich für die angekündigten Skripte eingerichtet und hätten die AdvoTec  Aussteller die App als Plattform für ihre digitalen Angebote genutzt, dann wäre die Application sogar über die drei Veranstaltungstage hinaus sehr nützlich gewesen.

Tipp für den nächsten DAT: Fotografieren Sie während der Veranstaltung mit Ihrem Smartphone die Folien, denn die meisten Skripte werden dann doch nicht wie versprochen zum Download bereit gestellt.

Das Thema: Innovationen & Legal Tech

Ein Zukunftsthema ist immer eine Herausforderung, denn ist es zu befürchten, dass in der Zukunft nichts mehr so ist, wie man es kennt. Zukunft verlangt Anstrengung, Veränderung und Anpassung. Zudem verbindet  man den Begriff Innovationen  nicht spontan mit der rechtsberatenden Zunft. Aber hier fand sich der Anwalt nicht einmal im Titel wieder, stattdessen springt ihm dieses englische Legal Tech ins Auge. Manch Teilnehmer hat sich wohl gefragt, ob er sich bei diesem Thema überhaupt angesprochen fühlen sollte. Ist das nicht vielleicht eher etwas für die anderen, für diese Lawyer, die Wirtschaftsjuristen, ParaLegal  und Wirtschaftsanwälte, also die aus den Großkanzleien?

Ein Referent fragte vor Beginn interessiert in die Runde: „Ist jemand aus einer Großkanzlei hier?“  Eine Dame melde sich etwas zaghaft. „Sie dürfen bleiben!“ schallte es lachend vom Podium.

Es gibt kaum einen Wirtschaftszweig, der so heterogen ist wie der juristische Bereich, deshalb bekommt hier auch jeder sein eigenes Stückchen Zukunft. Es gab bereits einige Zukunftsveranstaltungen (mit überwiegend den gleichen Referenten), die vornehmlich ihre jeweilige Zielgruppe erreichten – den Wirtschaftsanwalt oder den Unternehmensjuristen oder nun auch den Allgemeinanwalt.  Bereits 2016 gab es den 1. Anwaltszukunftskongress in Köln, initiiert von Wolters Kluwer und Soldan. Dort waren vornehmlich die Kanzleien vertreten, die den Digitalisierungsdruck bereits von ihren angloamerikanischen Mutterhäusern oder internationalen Mandanten zu spüren bekommen, die größere Budgets für technische Lösungen, und die englische Sprache bereits im Haus haben. Trotzdem war auch hier zu beobachten, dass man erst einmal abwartend guckt und abwägend hört, was da so auf einen zukommt. Die deutschen Juristen warten, wie nicht anders zu erwarten, noch etwas skeptisch, was Ihnen denn die Zukunft bringt. Das Neue dringt eher von außen, durch andere und nicht ohne Gegenwähr in die Branche. Dies wiederum stärkt die im Bauch angelagerte Befürchtung, dass diese digitale Transformation doch eher ein Risiko für den Berufsstand darstellt.

Ein Berufsstand, der seine Examensklausuren immer noch mit der Hand schreibt, und sich damit bestens für seine Arbeit bei Gericht qualifiziert, der sich zudem tagtäglich damit auseinandersetzt, was passiert, wenn man sich nicht an bestehende Regeln und Gesetze hält, der wird von sich heraus kein Treiber von Veränderungen werden.

Soldan Berufsbarometer

Soldan Institut : Anwälte sehen von sich heraus in Legal Tech mehr Risiken als Chancen

Auf den ersten Blick sehen die Betroffenen in Legal Tech etwas, was von außen und von anderen in den juristischen Bereich eindringt, ihn aufbrechen, womöglich aushöhlen oder sogar abschaffen könnte. Eine Gefahr für den Berufsstand, ein Geschäftsrisiko für den Anwalt, irgendetwas aus Amerika, was auf Technik und Daten basiert, etwas Unbekanntes, das der Mandant  auf keinen Fall wollen würde, das man mit allen Mitteln aufhalten muss – notfalls bemüht man das anwaltliche Berufsrecht. Irgendeinem der ca. 150.000 der BRAO und BORA verpflichteten Berufsträgern wird da schon etwas einfallen. Das hat bei beA ja auch funktioniert, zwischenzeitlich jedenfalls. Bis der Gesetzgeber eine überfällige Entscheidung trifft, und damit die Anwaltschaft zum Handeln zwingt, kann man erfahrungsgemäß alles aussitzen. Das sollte im Fall von Legal Tech nun anders werden – der DAV will sich öffnen und jeden einzelnen Anwalt in diesem Berufsverband auf die Reise in die Zukunft mitnehmen. Und das tut Not, wie eine aktuelle Umfrage des Soldan Instituts zeigt. Ein Großteil der Anwälte hat sich mit Legal Tech noch gar nicht beschäftigt oder sieht es eher als Gefahr.  Die Gefahr ist bei Unbekanntem ja bekanntlich am größten. Und der Jurist liebt allein schon dieses Wort, fühlt er sich doch dazu berufen, Gefahren bei anderen zu erkennen und abzuwenden, nachdem er sie in den dunkelsten Tönen herauf beschworen hat. Das Thema des DAT war also gut gewählt. Der Deutsche Anwaltsverein widmet sich nun, neben der Bundesrechtsanwaltskammer und dem Bundesverband der Unternehmensjuristen, dem technologischen Fortschritt und seiner Auswirkungen für den Anwaltsmarkt. Ein engagierter Anfang.

In der Nachschau zum DAT fragte man die Mitglieder vorsichtshalber noch einmal, ob man das Thema weiter verfolgen sollte. Obwohl sich die Frage wohl gar nicht stellt, denn zum DAT 2018 ist zumindest beA schon verpflichtend anzuwenden. Der digitale Zug ist bereits auf der Schiene.

Im besten Fall könnte das Engagement der Berufsverbände dazu beitragen, aus den noch stark abgegrenzten Segmenten des juristischen Marktes einen gemeinsam agierenden deutschen Rechtsdienstleistungsmarkt zu formen. Schließlich hat man ja nun einen gemeinsamen Feind – die Legal Tech Unternehmen oder besser die Legal Tech Startups  – das verbindet. Jede gute Geschichte braucht einen Bösewicht. Marketingstrategen wissen das. Die Legal Tech Firmen nehmen gezielt die Schwächen der Anwaltschaft ins Visier – konservativ, unflexibel, intransparent, introvertiert, ineffizient und für den Mandanten gefühlt viel zu teuer. Die sonst so kämpferischen Rechtsanwälte finden (noch) wenig Argumente dagegen und scheitern leider an ihrer mangelnden Selbstdarstellung oft auch schon am Selbstbewusstsein oder gar am Selbstverständnis. Marketing, vor allem Selbstmarketing, ist dem Anwalt immer noch fremd, was im Angesicht des Feindes nun sehr offen zu Tage tritt. Übrigens, sich selbst toll zu finden und die Juristierei als einzig wahre Profession anzusehen, ist kein Selbstmarketing, sondern mangelnde Selbstreflexion.

Legal-Tech-StartupCorner

Die Unternehmen, die sich mit digitalen Lösungen und Geschäftsfeldern im juristischen Bereich beschäftigen,  stecken selbst noch in den Kinderschuhen und so haben sie auf dem DAT innerhalb der AdvoTec auch eine Ecke bekommen, in der sie sich vorstellen durften.  Auf Englisch klingt das positiver: Legal-Tech-StartupCorner. Dort traf man u.a.: Jurato, TalentRocket, FragRobin, Vertragsmacher, Helix, Streamlaw, Comidio, Lawlift, Rechtsmart, Glasapfel, ArenoNet, Caspier, Legalvisio, HDCM, jure SPM, HB Group, Advotools und TresorData

Die Angebote kann man in verschiedene Gruppen gliedern: Programme zur Unterstützung der Mandatsarbeit und zur Kanzleiorganisation, Plattformen zur Vernetzung, insbesondere zwischen Anwalt und Mandant, digitale Speicher und Kommunikationswege und schließlich Software, die Rechtsdienstleistungen im weitesten Sinne selbst erledigen kann. Eine aktuelle Liste der deutschen Legal Tech Startups finden Sie hier: Tobschall – Legal Tech

Dass auch die Eigenwerbung der Newcomer nicht immer ganz gelungen war, sah so mancher Anwalt beim Vorübergehen auf den ersten Blick. „Sie garantieren mir den besten Arbeitsrechtler in meiner Stadt? Ganz dünnes Eis, rief die Anwältin dem jungen Mann am Messestand zu, wie wollen Sie das denn garantieren? „Wo steht das? Ach, das ist doch nur der Spruch auf unserem Werbebanner!“

Was ist Legal Tech?

Die eingangs erwähnte Beilage der NJW enthält ein Glossar, das den Begriff Legal Tech zwar nicht aufführt, aber beim Lesen der ausführlichen Artikel und Beiträge zu dem Thema weiterhilft.

Legal Tech ist die Verbindung von Recht und Technologie. Technisierung und Digitalisierung sollen genutzt werden, um juristische Dienstleistungen in guter Qualität, kostengünstig, transparent, schnell, unabhängig von Ort und Zeit jedem Bürger zugänglich zu machen. Dies passiert durch Einsatz modernster Datenverarbeitungs- und Speicherlösungen, durch Standardisierung, Datenanalyse und in erster Linie durch Masse. Erst die Masse an Fällen ermöglicht durch Datenanalyse valide Zahlen und Lösungen abzuleiten. Nur die Masse an Mandaten ermöglicht die Nutzung der technischen Voraussetzungen und die Gewinnung des notwendigen Know how. Erst die Identifizierung von Routinen macht es möglich, immer wiederkehrende Abläufe auf Maschinen wie Watson, Leverton oder Anwalts-Ross zu übertragen.

Aber jeder Fall ist anders! hört man den Anwalt warnend rufen.

Ja, aber viele Fälle sind ähnlich, die hast du nur nicht auf deinem Schreibtisch, entgegnet der BWLer.

Ich habe die Daten schon in meiner Cloud gespeichert,  lacht der IT-ler.

Aber nur ich darf zu Gericht gehen, frohlockt der Anwalt.

Dazu wird es gar nicht erst kommen, kontert der BWLer.

Ich habe die Daten schon ausgewertet, meldet der IT-ler.

Aber der Mandant vertraut mir persönlich, erwidert der Anwalt.

Aber nur bis er merkt, dass er bei mir Geld und Zeit spart, entgegnet der BWLer.

Außerdem redet der Mandant auch mit einem Chatbot, zwitschert der IT-ler.

Aber ich fahre mit dem Mandanten und seiner Familie in meinem Boot, also rein privat…

Das Spiel können Sie gern aus Ihrer ganz persönlichen Sichtweise weiterführen, vergessen Sie aber nicht, dass stets der Mandant der Gewinner sein sollte.

Ein Best Practice wurde in der Fachgruppe Arbeitsrecht vorgestellt. Die Wirtschaftskanzlei CMS greift das aktuell brennende Thema Fremdpersonaleinsatz auf und entwickelt aus der vorhandenen Masse an Fällen das Programm FPE.

„Zur Vermeidung von Scheinselbstständigkeit und von sogenannten Scheinwerk- / Scheindienstverträgen hat CMS das onlinebasierte Produkt FPE (Fremdpersonaleinsatz) entwickelt, mit dem Ihr Unternehmen in nur wenigen Minuten eine belastbare Prüfung des Einsatzes von Fremdpersonal vornehmen kann. FPE basiert auf den Erkenntnissen und Erfahrungen, die CMS in vielen Tausend vormals „händisch“ geprüften realen Situationen gewonnen hat.“ Website  FPE

DAT 2017 Podium

Noch sitzen aber die Juristen bei dem Thema Legal Tech auf der einen Seite und die Technologen auf der anderen. Der eine hat das Recht und die Zulassung, der andere hat die Technik und den Investor. Und so beobachtete der DAT Besucher zuweilen Juristen mit verschränkten Armen neben wild gestikulierenden Gründern. Ein konstruktiver Dialog kam leider kaum zustande. Zum Abschluss sagte der  BWLer  zum Anwalt: „Du wirst schon sehen, dass ich Recht habe!“  Was der Anwalt dachte, war nur zu ahnen.

Die größte Herausforderung der Zukunft ist nicht die Bewältigung der Technik, sondern die Verhaltensanpassung der Menschen.

Legal Tech ist die einerseits erzwungene und andererseits zwingende Allianz von zwei sehr verschiedenen Arbeitsfeldern, Wissensgebieten, Denkschulen, Herangehensweisen und Berufsgruppen. Man muss nun zusammenfinden.Innovationen entstehen zwar dort, wo Probleme sichtbar werden, aber sie gedeihen nicht auf dem Schlachtfeld, sondern können nur in  einem kreativen Umfeld gemeinsam entwickelt werden. Irgendetwas mit Investorengeldern zu entwickeln, das Anwalt dann kauft, weil man ihm sagt, es ist besser als das, was er selbst kann, wird nicht funktionieren. Und die juristischen Felder, die gänzlich ohne Anwalt auskommen, sind (noch) begrenzt. Sich aber andererseits den technischen Möglichkeiten zu verschließen und vor allem die Bedürfnisse der jungen Mandanten zu ignorieren, nur weil man eine Zulassung hat, wird zwangsläufig in den wirtschaftlichen Ruin führen.

Digitalisierung 4.0 – Branchenbeben

Aber der Rechtsbereich ist nicht die erste Branche, der von Investoren einfach ein Tech hintendran gehängt wird. Mit FinTech – im Finanz- und Bankensektor und InsurTech – in der Versicherungsbranche  – haben seit einigen Jahren Startups die Digitalisierung von Produkten, Prozessen und Kommunikationswegen in beratungsintensiven Geschäftsfeldern voran getrieben. Übrigens haben die Wirtschaftsanwälte dort kräftig mitgemischt, schließlich muss man ja bei den anderen schauen, ob alles rechtens ist und sich um Regulierung, Gewerblichen Rechtsschutz, Compliance und Datenschutz kümmern. Das, was man dort extern beraten hat, trifft jetzt die eigene Branche. Das hätte so mancher Jurist wohl gern vermieden, nicht nur, weil man sich selbst dafür keine Honorarrechnungen stellen kann, sondern weil es viel zusätzliche Arbeit macht. Das allerschlimmste ist aber, dass man etwas Gewohntes, was ja durchaus gut funktioniert (hat), nun ändern soll. Und nur weil andere, die keine Zulassung haben, ja oft nicht einmal Juristen sind, neuerdings der Meinung sind, sie könnten sich ein Stück vom juristischen Kuchen abschneiden. Der Feind im Haus heißt Legal Tech.

Digitalisierung kommt nicht, sie muss gemacht werden.

Aber geht es denn bei der Digitalisierung des Rechtsmarktes wirklich nur darum, den anwaltlichen Wirkungskreis zu beschneiden? Geht es nicht vielmehr darum, den Zugang zum Recht für jeden Bürger zu erleichtern, die Kommunikation zwischen Ratsuchende und Beratern zu verkürzen, zu verbessern, zu beschleunigen und transparenter zu machen? Geht es nicht eher um eine sichere Bearbeitung der Mandate, um eine qualitätsgerechte und effiziente Kanzleiorganisation, die den Anforderungen des Berufsrechts und den Vorgaben von Compliance und Datenschutz gerecht wird? Sollte es nicht um Qualitätssicherung, einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess (KVP) und eine Entlastung der Mitarbeiter gehen?

Die AdvoTec  zeigte einen guten Überblick, was technisch zukünftig möglich und derzeit digital machbar ist, um Arbeitsprozesse zu optimieren, die Kommunikation zu verbessern, die Berater von Routinen zu befreien, die anwaltliche Beratungsleistung  zu unterstützen und neue Mandanten zu gewinnen. Aber der Anwalt muss die Dinge auch annehmen. Für manche ist das schon eine Frage der Investitionskosten. Es gibt nichts geschenkt, nicht einmal eine unsichtbare Wolke. Will ich eine datensichere Cloud nutzen, entstehen monatliche Kosten. Bin ich als Notar gezwungen meine Urkunden zu archivieren, kostet mich allein der Scanner über 1.000 Euro. Nicht mal die beA-Karte gibt es umsonst. Aber letztlich ist das Geld für die meisten doch zweitrangig.

Wenn eine mittelständische Kanzlei seit über einem Jahr eine ReFa mit sehr guten Englischkenntnissen sucht, nur weil alle zwei Monate mal ein Phonodiktat auf Englisch geschrieben werden soll, fragt man sich, ob denn die Nutzung von digitalen Schreib- und  Übersetzungsdiensten nicht die kostengünstige Alternative wäre. Aber man diktiert noch auf Kassette und ist damit auch ganz zufrieden.

In erster Linie ist es eine Einstellungsfrage. Man muss die neue Technik wollen, man muss davon überzeugt sein, dass der Nutzen erheblich ist, dass man täglich Zeit und Geld spart und im besten Fall Gewinn macht. Genau das wird aber bei den Produkten und Präsentationen oft nicht sichtbar. Was auch daran liegt, dass all das, was zwischen Aktenanlage, Texterfassung, Dokumentenbearbeitung und Kanzleiorganisation passiert, nicht von den Anwälten selbst, sondern überwiegend von ihrem Personal erledigt wird. Die Rechtsanwalts- und Notarfachangestellten und vor allem die Fachwirte wüssten sehr wohl, was sie zur Unterstützung ihrer Arbeit brauchen und wie es funktionieren sollte. Allerdings werden sie in diese Entwicklungen und Entscheidungen nicht eingebunden.

Der jährlich stattfindende Deutsche Rechtsfachwirttag verzichtet übrigens auch in diesem Jahr auf das Thema Legal Tech und kümmert sich wie bisher um Kosten- und Gebühren, Fristen und Rechtsprechung. 

16% der kürzlich von Soldan befragten Anwälte denkt, dass die Digitalsierung nichtanwaltliches Hilfspersonal überflüssig macht. Es ist nur zu hoffen, dass die anderen 84% wiessen oder zumindest ahnen, dass die Digitalisierung vor allem von dem gut qualifiziertem Kanzleipersonal durchgeführt wird.

Hast du schon so eine beA Karte beantragt? fragt der Anwalt bei Kartoffelsalat und Würstchen sein Gegenüber. Ja, ich habe das meiner ReFa gegeben, die soll sich mal darum kümmern. Sie kann dann auch diese beA-Schulung besuchen, sie will sich ja immer weiterbilden, antwortet er lachend und kauend.

Der Rechtsdienstleistungsmarkt hat ein eklatantes Nachwuchsproblem. Dass die Zahl der Zulassungen in der Anwaltschaft  seit dem Vorjahr fast stagniert (+0,42) wurde mit großer Besorgnis mehrfach auf dem DAT kundgetan, dass die Zahl der nichtanwaltlichen Mitarbeiter und vor allem der Auszubildenden in den ReNoPat-Berufen seit Jahrzehnten stark rückläufig ist, wird (wenn überhaupt) meist nur am Rande erwähnt. Auf dem DAT 2017 erhielt  die ReNo nun kurz vor Veranstaltungsschluss auf der AdvoTec einen eigenen Programmpunkt. Man fragte sich in kleiner Runde, warum es denn keinen Nachwuchs für diesen doch so tollen Beruf gibt?

Die Bemerkung eines Kanzleieigners: „Das bisschen Tippen kann ich dann auch noch selber machen, mit der Digitalisierung werden die doch sowieso überflüssig.“ bringt die Sache auf den Punkt und wird nur von der Aussage einer ReFa getoppt: „Ich will nicht in einem Umfeld arbeiten, in dem man immer angeschrien wird.“

Es ist nicht (nur) das Geld, was den Beruf für junge Menschen unattraktiv und teilweise sogar inakzeptabel erscheinen lässt. Aber Geld ist auch hier die einzige Idee, dem Nachwuchsmangel zu begegnen. Eine bessere Ausbildungsvergütung ist längst überfällig, aber keine Lösung des Problems.

Wie ernst die Lage ist, wurde in der Fachgruppe Notariat erschreckend deutlich. Man fand klare Worte aber auch hier keine Lösung. Thema der Notare war dasGesetz zur Neuordnung und Aufbewahrung von Notariatsunterlagen und zur Einrichtung des Elektronischen Urkundenarchivs bei der Bundesnotarkammer.“ Die Einrichtung eines zentralen, digitalen Urkundenarchivs erledigt man nicht mal so nebenbei und auch nicht irgendwie, das ist ein Großprojekt für das, so viel steht fest, kein zusätzliches Personal vorhanden ist. In der Fachgruppe schätz man, dass die Digitalisierung der Urkunden in pro Notar eine zusätzliche Fachkraft beansprucht. Zum fachgerechten Scannen der Papierurkunden beschäftigt man schon zusätzlich Bibliothekare, die sind darin geübt und haben die Digitalisierung ihrer Bestände schon hinter sich. Aber die sachliche Erschließung der Urkunden muss von einer Fachkraft erledigt werden, die beim Notar angestellt ist.

Hier ein Hinweis von der Recruiterin: Es hilft nichts, Stellenanzeigen zu schalten, es genügt auch nicht, die Brieftasche aufzumachen, der Markt ist seit Jahren ausgebrannt. Hier muss man sich einmal gemeinsam in eine Kammer setzen und eine Strategie entwickeln.

Ansonsten ist das Elektronische Urkundenarchiv aber die richtige Entscheidung, denn vor dem Einsatz von all diesen tollen technischen Möglichkeiten, Maschinen und Wolken steht immer das Aufräumen und Ordnen. Insofern müssen sich alle darauf einstellen, dass die Digitalisierung in den nächsten Jahren sehr viel mehr Arbeit mit sich bringt, Geld, Zeit und Geduld kostet. Von den Legal Tech Anbietern wünscht man sich an der Stelle wesentlich mehr Transparenz, Offenheit und Ehrlichkeit. Sicher ist vieles ganz toll, aber erst in der Zukunft. Das besondere am juristischen Bereich ist, dass der Anwalt sein Wissen in seinem Kopf hat. Nur er weiß, wie er seine Mandate bearbeitet und seine Kanzlei organisiert, er entscheidet, welche Aufgabe er abgibt und wie diese dann zu erledigen ist. Der Anwalt hat die Kanzleiorganisation in seinem Kopf. Wie schwer es ist, an dieses Wissen heran zu kommen, erleben all die, die sich um die Erstellung von Kanzleihandbüchern und um die Einführung von Qualitätsmanagementsystemen im Rahmen der ISO-Zertifizierung bemühen. Meist sind dies übrigens die Rechtsfachwirte. Das es nun Branchenfremden ad hoc gelingen sollte, solche fremden Dinge wie Cloud, blockchain, smart contracts und künstliche Intelligenz in das Kanzleimanagement zu integrieren, ist eher unwahrscheinlich.

Hoch zu Ross

Die Ankündigungen von Blockchain, Cloud, künstlicher Intelligenz, Chatbots und Roboter-Anwalt Ross gehören durchaus zu einem innovativen Kongress, sind aber dennoch Zukunftsmusik. Der Anwalt hat hier und jetzt ganz andere Probleme. Da steht immer noch diese beA vor der Tür, die Notare geben auf einmal den Takt vor und wollen jetzt auch noch das Urkundenarchiv digitalisieren. In der Fläche schließen derweil kleinere Amtsgerichte aufgrund von Unwirtschaftlichkeit und machen aus dem Allgemeinanwalt einen Alleinanwalt. Und dann fährt man auf dem Weg nach Essen immer noch durch W-LAN-freie Zonen. Die Wirklichkeit liegt irgendwo zwischen Roboter-Anwalt Ross und Rosskur für den Anwalt. 

Arbeit zwischen Industriemuseum und Digitalisierung

Mit dem DAV 2017  ist das Thema Digitalisierung nun in der Fläche angekommen. Weit weg vom Legal Tech Hackerton in Berlin und Legal Tech Meetup in Frankfurt am Main konnte jedes DAV-Vereinsmitglied drei Tage lang in Essen über seinen Platz im Anwalt§universum nachdenken. Im Anblick der Alten Zeche Zollverein wurde wohl jedem klar, dass das Zeitalter der Industrialisierung nun Geschichte ist. Das Gelände wurde museal erschlossen und demonstriert massiv und kraftvoll die körperliche Arbeit, ja früher war sie noch sichtbar. Die Arbeit – das, was unser Leben so vehement bestimmt – hat sich langsam verflüssigt, verlangt nach Gleitzeit, virtuellen Räumen und künstlicher Intelligenz. Digitale Arbeit ist nicht sichtbar, schwer fassbar, sie fließt dahin mit den Datenströmen und mit ihr unser Leben. Alles wird schneller, komplexer, vernetzt sich und verschwindet irgendwann in der Cloud.

Die Rolle des Anwalts in der digitalen Gesellschaft

Der Rechtsanwalt wird nicht überflüssig! Die Anwaltschaft muss sich nur ihrer gesellschaftlichen Rolle im Zusammenhang mit Innovationen und Digitalisierung bewusst werden. Der Anwalt vertritt nicht nur seinen Mandaten, sondern auch die vernetzte menschliche Gesellschaft. Hier besteht eine enorme Erwartungshaltung, nicht nur vom Mandanten, der ein Filesharing Problem hat, sondern von der Justiz, der Politik, der Wirtschaft und der Gesellschaft. Wie keine andere Berufsgruppe, sind die Juristen gefordert, die Digitalisierung der Gesellschaft zu begleiten, zu regulieren und menschlich zu gestalten. Bessere Technik, macht nicht zwangsläufig besseres Recht, wie die Arbeitsgruppe auf dem DAT richtigerweise feststellte. Anstatt gegen Legal Tech zu kämpfen, sich resigniert zurückzuhalten oder gar zu kapitulieren, ist es die Zukunftsaufgabe der Juristen, für eine menschenwürdige, digitale Gesellschaft  einzutreten. Und da gibt es bereits in der Gegenwart sehr viel zu tun. Die Digitalisierung ist eine große Chance für die Anwaltschaft.

Sascha Lobo, DAT 2107

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