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ApfelWir wollen nicht spielen, wir wollen nicht kuscheln und haben immer einen Apfel in der Tasche.

Mein Name ist Daniel (31), ich bin Berufseinsteiger. Das heißt, ist stehe an der Schwelle zu einem bezahlten Job. So hatte ich mir das jedenfalls vorgestellt. Mein Bachelor- und Masterstudium habe ich in den letzten 6 Jahren mit einer selbstständigen Tätigkeit finanziert, als gelernter Kaufmann ist mir das auch gut gelungen. Letzte Woche habe ich meine Masterthesis im Fach Wirtschaftsrecht verteidigt. Jetzt bin ich LL.M. – und auf Jobsuche als Wirtschaftsjurist, dass der Studiengang (21 Jahre nach seiner Einführung in Deutschland) noch nicht überall bekannt ist, ahnte ich ja schon. Dass man aber mit Berufsbezeichnungen und Studienabschlüssen auf völlige Ahnungslosigkeit bei Recruitern stößt, die ihrerseits wild mit Jobdescription und Karrierefloskeln jonglieren, hat mich jetzt doch überrascht. Auch die Sache mit dem Obstkorb im Büro verstehe ich nicht.

Mein xing-Profil steht auf: „aktiv auf Jobsuche“.

Und nicht nur das, schließlich war ich als Student selbst drei Jahre im kaufmännischen Bereich einer Personalvermittlung tätig und weiß, wie man Lebensläufe schreibt und Auswahlkriterien einsetzt. Der aufmerksame xing-Profilbesucher kann neben meinen Abschlüssen als Kaufmann, Bachelor und Master of Laws  meine Affinität zu juristischen und wirtschaftlichen Themen erkennen. In meiner  Tag-Cloud stehen unter  „ich biete“ und „ich suche“ Schlagworte wie „Vertragsmanagement“, „Arbeitsrecht“, „Steuerrecht“ „Vergaberecht“„kaufmännische Leitung“, „Fin-Tech“ ,„Legal-Tech“ usw. Eine kurze Zusammenfassung meiner Interessen, meines Wissens und Wollens. Leider gibt es bei xing keine Rubrik: „Das will ich nicht – auf gar keinen Fall.“ Denn dann würde bei mir dort stehen: „Vertrieb“ und „aktive Personalbeschaffung.“

Die ungebetenen Besucher

Aber die ungebetenen xing-Besucher sind wie Verwandtschaft, man kann sie von einem Besuch nicht abhalten. Und sie bringen einem genau das, was man nicht will: Zeitverschwendung und das Gefühl, nicht verstanden zu werden. Im Nachhinein ärgert man sich, dass man sich wieder einmal darauf eingelassen hat. Letzte Woche hatte ich wieder einen Profilbesucher, der sich im Nachhinein als ungebetener Gast entpuppte. Zunächst stellte er sich mit einer Anfrage als Geschäftsführer einer Personalvermittlung vor. Ich erwartete daraufhin einen Menschen, der sich beruflich damit beschäftigt, Jobbeschreibungen zu erstellen, Anforderungsprofile zu entwickeln, Bewerberdaten zu analysieren und Potentiale zu erkennen. Tagesgeschäft eines professionellen Personalvermittlers, dachte ich. Dieser Profi, nennen wir ihn Stefan, begann seine Ansprache mit dem typischen Start-up-Sprech:

„Es ist doch ok, wenn ich dich duze?“

anmache

  • Nein, es ist nicht ok, dass Sie mich duzen.
  • Wer sagt, dass die Atmosphäre in einem Start-up besser ist, als die Bezahlung?
  • Was sind das für Führungskräfte, die keine Ansage machen?
  • Ich trage täglich die Verantwortung für mich und meine Arbeit.
  • Ich will nicht mehr, als eine nützliche Aufgabe mit adäquater Bezahlung.
  • P. S. den Rest meines Lebens organisiere ich gern selbst.

Ich schaue trotzdem auf die Unternehmenswebsite. Stefans Team vermittelt Vertriebsmitarbeiter für alle Branchen. Die Atmosphäre beschreibt man mit Bürohund, Tischtennisplatte, Obst, Sacks und Getränke. Egal, aber wo genau hat Stefan eine Übereinstimmung zwischen seiner Stelle und meiner Qualifikation gefunden? Was macht ein  „Account Manager“? Google meint „[…]wirbt neue Kunden an und pflegt Beziehungen zu Bestandskunden.[…]Ist ein Vertriebsmitarbeiter.“ Aha, vielleicht gibt es da einen Zusammenhang, den ich als Berufseinsteiger noch nicht sehe. Ich antwortete Stefan, dass er mir, sofern er eine Schnittmenge aus seinem Anforderungsprofil und meiner kfm.- und juristischen Qualifikation sieht, gern die Stelle des „Senior Account Managers“ näher vorstellen könne. Montag um 12.00 Uhr will er anrufen.

Wir kaufen dich und du verkaufst die anderen

Mein Telefon klingelt. Eine Frauenstimme: „Entschuldige, Stefan ist im Meeting, aber ich, Svenja, werde dich jetzt befragen. Ja, also wir haben dich ja angeschrieben auf Xing. Erzähl doch mal was du machst.“
„Ich bin Wirtschaftsjurist, habe vor einer Woche meinen Master absolviert. War zuletzt studienbegleitend selbständig und suche jetzt einen Berufseinstieg als Wirtschaftsjurist.“
 „Ok, welchen Jobtitel strebst du an?“
„Ich bin mir nicht sicher, ob ich die Frage richtig verstehe, ich bin Wirtschaftsjurist, falls du das mit Titel meinst?“
„Ja ok, als was möchtest du arbeiten?“
„Als Wirtschaftsjurist, da gibt es ja einige Möglichkeiten. Ich habe eine Affinität zum Arbeitsrecht und auch zum Vertragsrecht. Die Frage ist doch, was ihr braucht, oder? Als Jurist bin ich ja nicht auf ein Rechtsgebiet beschränkt. Deshalb wäre es vielleicht sinnvoller, wenn du mir eure Stelle vorstellst. Mein Xing-Profil kennt ihr ja schon.“
„Ja, aber ich hab erst noch weitere Fragen auf dem Fragebogen. Was ist denn deine Wechselmotivation?“
„Meine was?“
„Na, wieso möchtest du von deinem aktuellen Job zu uns wechseln?“
„Ich bin Berufseinsteiger und war neben dem Studium selbständig. Die Selbständigkeit gebe ich aber für einen interessanten Job auf. Das ergibt sich aus meinem Profil und ich habe dir das zu Beginn des Telefonats auch gesagt. Eventuell legst du jetzt deinen Fragebogen weg und wir unterhalten uns über die Stelle?“
„Tut mir leid, das fragen wir immer alle. Ein paar Fragen hab ich noch. Im zweiten Teil sag ich dann was zu uns. – Was möchtest du denn verdienen?“
„Das kommt drauf an, was ich tun soll.“
„Ja aber du musst doch wissen, was du verdienen willst.“
„Das weiß ich – viel!“
„Wie bitte?“
Ich nenne ihr eine absurde Zahl.
„Ok, dann haben wir das. Dann erzähl ich dir mal was über uns. Wir sind 23 Mitarbeiter, wir trinken, essen und feiern zusammen. Wir sind quasi wie eine Familie. Wir haben zwei Bürohunde,  Tischtennisplatten und Kickertische und jeden Tag einen frischen Obstkorb.“
„Ok –  und arbeitet ihr auch?“
Ja, bei uns bekommt jeder seine eigene Branche und Kunden. Du brauchst keine Vertriebserfahrung. Eine Stunde täglich musst du aber neue Kunden anrufen. Danach suchst du in unserer Datenbank oder bei Xing nach Bewerbern. Wir vermitteln unsere Kandidaten innerhalb von 7-10 Tagen. Bei uns läuft alles übers Telefon oder Internet. Persönlichen Kontakt gibt es bei uns nicht, dafür haben wir keine Zeit.“
Ah, ja –  und wie kommt ihr dabei auf mich? Wie kann ich mich dabei als Wirtschaftsjurist einbringen?“
„Ja, wir machen ja alle Branchen. Wenn dir eine Branche nicht gefällt, nimmst du eben eine andere.“
„Svenja, ganz ehrlich, das wird nichts mit uns. Dir alles Gute – und tschüss.“
„Ach, schade, aber wenn du mir noch deinen Lebenslauf zusenden könntest…“


Lieber Stefan, liebe Svenja, liebe Generation-Y-Versteher,

hört bitte mit diesem Bullshit auf und macht euren Job vernünftig. Ihr wollt wissen, wie man die Generation Y anspricht? Gerne über Xing oder LinkedIn, auch per Mail oder Telefon. Wir beherrschen alle Kanäle. Gerne auf Deutsch, gern auch auf Englisch, aber bitte in ganzen Sätzen. Und ganz wichtig: immer mit Respekt und gut vorbereitet. Macht eure Hausaufgaben! Wir erstellen unsere Profile, damit ihr sehen könnt, wo und wie unsere Qualifikationen zu euren Anforderungen passen. Wenn ihr uns anruft, dann verzichtet auf standardisierte Fragebögen und tretet mit uns in einen Dialog – und hört zu! Wenn ihr euch bei uns vorstellt, dann beginnt bitte mit eurer Arbeit und nicht mit den Partys. Wenn ihr uns motivieren wollt, dann gebt uns Jobs und Aufgaben, die unserem Können entsprechen, einen Nutzen haben und im besten Fall auch noch einen Sinn ergeben. Bezahlt uns anständig, dann können wir uns unser Obst, die Snacks und Getränke selbst kaufen. Wir investieren nicht unsere besten Jahre in Ausbildung und Studium, für eine aufgeblasene „Jobdescription“. Wir wollen uns einbringen, wir wollen Verantwortung übernehmen und gute Arbeit leisten. Wir wollen, dass man uns Respekt entgegenbringt, mit uns redet und uns wirklich kennen lernen möchte. Wir sind keine Talents, Experts, keine Human Ressource, sondern Menschen, die einer vernünftigen Arbeit nachgehen wollen. Junge Menschen, die ihr Wissen, ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten einsetzen möchten und Sachen voranbringen können. Wir brauchen keine hippen Anglizismen und klangvolle Namen für profane Jobs. Was wir wollen, sind klar definierte Aufgaben und Stellenbeschreibungen, damit wir wissen, was zu tun ist. Wir möchten von Menschen geführt werden, zu denen wir respektvoll aufschauen und von denen wir lernen können. Wir wollen nicht spielen, wir wollen nicht kuscheln und wir haben immer einen Apfel in der Tasche.

Gebt euch Mühe, strengt euch an, hört auf, die Stellenanzeigen eurer Mitbewerber zu kopieren. Nehmt euren Job ernst und liefert selbst ab, was ihr von uns fordert. Gute Qualifikationen, professionelle Arbeitsweise, selbständiges Denken und Respekt. Falls ihr nicht wisst, womit ihr anfangen sollt – fangt mit dem Denken an und lasst den Respekt folgen. Der Rest ergibt sich dann von alleine.

P.S. Guckt mal auf eure xing-Profile, die sind verbesserungswürdig. Sonst würden wir euch ja ansprechen.

 

Her mit deinen Daten – ich garantiere für nichts!

Daniel hat seinen Master of Laws fast in der Tasche, er ist in der Bewerbungsphase. Stolz auf seine Abschlüsse (Kaufmann, LL.B und LL.M) und seine ersten beruflichen Erfahrungen, füllt er sein xing-Profil aus: Vertragsmanagement, Kaufrecht, HR, Arbeitsrecht, Compliance. Bisher sucht er ja mehr, als er zu bieten hat, aber als Berufseinsteiger ist er ungebunden, flexibel und offen für Neues. Zwei Tage später meldet sich Mandy:

xing

Der Angesprochene schaut auf Mandys xing-Profil: Sie arbeitet bei einem Personaldienstleister in Hamburg, es scheint ihr erster Job zu sein. Ihre Ausbildung: Universität  Hamburg, keine Jahreszahl, keine Fachrichtung, offensichtlich ohne Abschluss. Neben ihrem Foto mit dem etwas fragenden Blick steht: „International Recruiter & Business Development”. Daniel sucht nach der Firma, Mandy ist auf der Homepage nicht zu finden. Aber die Branche klingt spannend: Luftfahrt. Er sucht unter den Job Opportunities nach der Vakanz. Es müsste ja etwas mit Jura sein, wenn das für einen Wirtschaftsjuristen passen sollte. Er findet eine Juristenstelle im Vertragsmanagement: 3 Jahre Berufserfahrung, Vollzeit ab sofort (AÜG), in Hamburg. Daniel sendet seinen CV mit dem Hinweis, dass er in Berlin wohnt. Kurz darauf klingelt sein Handy.

Der Recruiter ruft an

Mandy ist begeistert, dass er alles schon gemacht hat, was die Stelle fordert. Daniel verweist vorsichtshalber darauf, dass seine Erfahrungen, die er studienbegleitend  erworben hat, wohl noch nicht ganz dem Umfang und den Anforderungen ihres Kunden in der Luftfahrtindustrie entsprechen könnten. Er stellt einige konkrete Fragen zu den Aufgaben und dem Verantwortungsbereich der Position, die sie leider nicht beantworten kann. Mandy meint, es steht doch alles in der Stellenbeschreibung, die er übrigens gut recherchiert hat, sie kichert. Dann wieder ernst “Ich brauche jetzt  erst einmal weitere Unterlagen von Ihnen und natürlich Ihren Gehaltswunsch.”

 

Der Einstellungsfragebogen lässt keine Fragen offen. Von der Einwilligung zu Militärprojekten bis zur Schwerbehinderung und der lückenlosen Aufzählung aller bisherigen Arbeitgeber sowie der dort erworbenen Fachkenntnisse wird auf 5 Formularseiten alles abgefragt. Was passiert eigentlich mit den Daten nach dem Auswahlprozess? Daniel fragt nach einer Datenschutzerklärung, Mandy reagiert verschnupft.

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Daniel sendet ihr den Link zu der Datenschutzerklärung auf ihrer Homepage und den ausgefüllten Fragebogen. Sie will noch mehr.

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Daniel fährt zum Vorstellungsgespräch nach Hamburg – auf eigene Kosten

Mandy hat leider keine Zeit, ihn persönlich kennen zu lernen. Aber ihr Kunde, der Leiter Vertragsmanagement, empfängt Daniel freundlich und nimmt sich über eine Stunde Zeit für ein offenes Gespräch auf dem Firmengelände. Nach den ersten Minuten steht fest, dass die ausgeschriebene Stellenanzeige nichts mit der tatsächlichen Vakanz in dem Luftfahrtunternehmen zu tun hat. Der Kunde sucht eine Krankheitsvertretung in Teilzeit, maximal 30 Stunden, mit überwiegend administrativen Aufgaben und nur einem juristischen Schwerpunkt, Prüfung von Handelsvertreterverträgen, maximal für 6 Monate, ohne Option der Verlängerung – Arbeitsbeginn am kommenden Montag. Er fragt Daniel, warum er sich als Berliner denn auf diese Position beworben hat und ob er nicht selbst denkt, dass er als Wirtschaftsjurist überqualifiziert wäre?

Auf der Rückfahrt nach Berlin ruft Mandy an 

„…und wie hat es Ihnen gefallen, machen Sie den Job?“ Daniel fragt sich, ob sie denn schon mit dem Kunden gesprochen hat. Er atmet tief durch, in ihm brodelt es. „Da gibt es keinen Job, den ich annehmen könnte. Ihr Kunde hat mir geschildert, was er eigentlich sucht und vor allem zu welchen Konditionen.“ Mandy etwas aufgebracht: „Wie, hat er jetzt alles widerrufen? Das ist die Schuld des Kunden, mir hat er was ganz anderes erzählt. Wäre es aber trotzdem für Sie interessant?“

Jetzt reagiert auch er energisch: „Noch einmal, selbst wenn ich die Aufgabe annehmen würde, weil mich ehrlich gesagt die Branche und das Unternehmen reizt, auch könnte ich mir Ihren Kunden als Chef gut vorstellen — ich kann nicht in der nächsten Woche an Hamburg anfangen, ich wohne in Berlin. Nur falls Sie es immer noch nicht geschnallt haben, ich kann weder unter der Brücke noch im Auto schlafen, ich brauche zumindest eine Bleibe in Hamburg.“

„Na, ich habe ja ganz viel Connection in Hamburg, da können wir doch was machen, sagen Sie mal eine Zahl.“ Daniel stutz: „Was für eine Zahl?“

„Was Sie verdienen müssen, damit Sie sich hier eine Wohnung mieten können. Aber vorher brauche ich noch die G37 Untersuchung, die haben Sie immer noch nicht gemacht.“ Daniel neigt sich ganz weit nach vorn und umklammert das Lenkrad, als wollte er vor Wut hineinbeißen. Er spricht langsam und ganz leise, wie zu einem kranken Haustier: „Liebe Mandy, die G37 ist eine freiwillige Untersuchung nach der Bildschirmarbeitsplatzverordnung, die der Arbeitgeber dem Mitarbeiter anbieten muss und der Arbeitnehmer in Anspruch nehmen kann. Zur Erinnerung, ich bin Jurist. Ich werde nicht noch 100 Euro dafür bezahlen, damit Sie Ihre Datenbank mit meinen Unterlagen füllen können. Und überhaupt, was sagt eigentlich Ihr Kunde, gab es schon ein Feedback?

„Nein, aber wenn das mit der Stelle nicht klappt, ich habe ja immer wieder mal was für Juristen in Hamburg.“

Am nächsten Tag kam die Absage per Mail.

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Daniel hat das Angebot zur Datenlöschung angenommen. Die Reisekosten trägt er selbst, immer noch besser, als dort arbeiten zu müssen. Er hat sich per Mail direkt beim Kunden bedankt, für die offenen Worte und seine Zeit, ihn auf dem Firmengelände zu empfangen. Nebenbei hat er empfohlen, sich nach einem fähigen Personaldienstleister umzuschauen, denn ansonsten hätte er Angst, in ein Flugzeug zu steigen.