Deutscher Anwaltstag 2023 nachhaltig wertschätzend. Der Deutsche Anwaltstag 2023 in Wiesbaden sollte uns nachhaltig in Erinnerung bleiben. Denn nachdrücklich haben die Referenten der über 70 Fachvorträge und die Moderatoren der zahlreichen Podiumsdiskussionen die Nachhaltigkeit des Rechts und der anwaltlichen Berufsausübung hervorgehoben. Zur allgemeinen Verständlichkeit des Begriffs „Nachhaltigkeit“ wurde mehrfach auf die Forstwirtschaft hingewiesen, was die Präsidentin des DAV Frau Edith Kindermann zu ihren Wurzeln im Agrarrecht führte. Die Rechtsanwältin und Notarin kämpft mit Engagement und Leidenschaft für die Digitalisierung der Justiz und den nachhaltigen Zugang zum Recht – auch in der Fläche. Bei der Beharrlichkeit der beteiligten Akteure wünscht sie sich offensichtlich eine Axt im Walde. Auf das Abholzen von nachhaltig gepflanzten Bäumen könnte in nicht geringen Maße verzichtet werden, wenn nicht in der Justiz und einigen Kanzleien digital erzeugte Schriftstücke und E-Mails immer noch sicherheitshalber ausgedruckt würden. Aber der mediale Austausch unter den Beteiligten ist bei dem digitalen deutschen Flickenteppich ein holperiger Weg.
Auf dem Weg der Digitalisierung stolpern wir oft über unsere Wurzeln
Doch die Anwaltschaft hat sich (Corona sei Dank!) der Digitalisierung schon sichtbar geöffnet. Schließlich fanden auch die ersten drei Veranstaltungstage des diesjährigen DAT wieder digital statt. Das funktionierte ganz gut, wenn dann jeder Teilnehmer das jeweilige Icon für Mikrofon und Lautsprecher gefunden hatte. Die Skripte gab es zum Download und sicherheitshalber zum Ausdrucken. Bei der Betrachtung der Präsentationen und Skripte wurde sichtbar, dass die Vorzüge der digitalen Medien doch noch nicht ganz ausgeschöpft werden. Es ist zwar erfreulich, dass einige Präsentationen neben den umfangreichen Textauszügen nun auch eingefügte Bilder zeigen, wenn dann in den Skripten die Bilder ohne erklärenden Text daher kommen, braucht man schon ein nachhaltiges Erinnerungsvermögen, um das Gesagte reproduzieren zu können. Noch schwieriger ist es, das auf dem DAT erlangte Wissen im Nachgang mit anderen zu teilen. Dabei ist doch die ortsunabhängige Wissensteilung ein unschätzbarer Vorzug der Digitalisierung. Es ist wohl noch ein langer Weg, alle auf die Straße der Digitalisierung zu bekommen.
Digitale Kanzleiorganisation und Fallbearbeitung
Digitale Angebote zur Optimierung der Kanzleiorganisation und zur Fallbearbeitung, die auch dem berufsrechtlichen Sicherheitsbedürfnis der Anwaltschaft genügen, gibt es inzwischen reichlich, wie die AdvoTec in ihrem Ausstellerbereich zeigte. Neben den vertretenden Platzhirschen der Kanzleisoftwareanbieter fand man hier eine Sonderfläche mit Start-ups, die mit digitalen Tools für eine effiziente Kanzleiorganisation aufwarteten. Vom sicheren E-Mail-Versand, über die digitale Mandatsannahme bis zur Einbindung von ChatGPT wurde dem Fachbesucher viel Entwicklerleistung präsentiert. Als Nutzer dieser innovativen Einzellösungen ist man heutzutage nicht nur Anwender, sondern auch Mitentwickler. Wobei sich die Frage stellt, was man in seiner eigenen Kanzlei tatsächlich braucht? Welchen Nutzen bringen die neuen digitalen Angebote, sind sie zu der bestehenden Systemen kompatibel oder werden sie die Kanzleisoftware irgendwann ersetzen?
ReNo Mangel als Digitalisierungsschub
Interessant war zu hören, dass das Haupt(verkaufs)argument der Softwareanbieter nicht etwa in der zu erwartende Kostensenkung, der nachweislichen Zeitersparnis oder gar dem Mehrwert für den Mandaten lag, sondern in der Gewissheit, dass es keine ReNos gibt. Diese späte Erkenntnis ist ebenso sicher wie nachhaltig bzw. bundesweit andauernd. Die „ReNo“ steht hier stellvertretend für alle Rechtsanwalts- und Notarfachangestellten, Rechtsanwalts-, Notarfach- und Patentanwaltsfachangestellten und die Fachwirte der juristischen Berufe. Ja, es gibt zu wenig ReNos, denn wir haben jahrzehntelang zu wenig ausgebildet und zu viele an branchenfremde Wettbewerber und die Justiz verloren und sie viel zu lange nicht wertgeschätzt. Aber es gibt sie noch, die ReNo. Nur will sie nicht mehr so arbeiten wie bisher. Sie ist keine Tippse und keine Erfüllungsgehilfin. Wenn auch die „ReNo-Gehilfin“ dem ein oder anderen Berufsträger zwischen Bratwurst und Salat immer noch über die Lippen kam. Dass das kein Versprecher war, manifestiert sich in dem Nachsatz: das steht schließlich so in ihrem Zeugnis.
Mangelnde Wertschätzung und schlechtes Berufsimage
Auch aus diesen Gründen der Ignoranz und mangelnden Wertschätzung ist sie abgewandert, die juristische Fachangestellte. Sie ist außerhalb der klassischen Kanzlei sehr begehrt und arbeitet heute nicht selten in einer Rechtsabteilung oder bei einem LegalTech Anbieter. Die Prophezeiung, dass mit der Digitalisierung auch die ReNo verschwindet, hat sich insofern bewahrheitet, dass sie jetzt dort arbeitet, wo die Digitalisierung bereits angekommen ist. Das Problem des ReNo Mangels ist damit aber nicht verschwunden, es ist größer als je zuvor. Denn die Aufgaben, die nur von einer ReNo erledigt werden können, werden zwar durch digitale Anwendungen unterstützt, aber immer noch mit der Intelligenz der Fachangestellten erledigt. Die ReNo erfreut sich nun, da sie rar und ihr Verlust spürbar ist, wachsender Beliebtheit. Auf dem Anwaltstag erhält sie so viel Aufmerksamkeit und verbale Wertschätzung, dass sie sich darüber freuen würde, wenn sie es hören und miterleben könnte. Aber man spricht über die Berufsgruppe bis auf wenige anwesende Rechtsfachwirte doch wieder in Abwesenheit. Dafür findet dann im November der jährlich von Soldan ausgerichtete Rechtsfachwirttag statt. In Kassel wird sich die Berufsgruppe der ReNos dann einmal mehr über mangelnde Wertschätzung seitens der Anwälte beklagen. In Abwesenheit der Berufsträger. Da aber immer noch viele ReNos die Teilnahme an der zweitägigen Weiterbildungsveranstaltung (Freitag und Samstag) aus eigener Tasche bezahlen, werden die Anwälte auch nicht erfahren, wie hinter den Konferenztüren über sie gesprochen wird.
Nachhaltig wertschätzend
Was Wertschätzung eigentlich ist, konnte die Anwaltschaft bisher nicht zweifelsfrei für sich herausfinden. Dass Anwälte in ihrem Studium Führung nicht lernen, taugt nicht als Entschuldigung für wenig wertschätzendes oder gar unangemessenes Verhalten im Arbeitsumfeld. Alle in den Diskussionen hervorgebrachten Bespiele mangelnder Wertschätzung gegenüber den Mitarbeitenden zeugten von fehlendem Respekt, wenig Anstand und mangelnder Selbstreflexion. Wertschätzung beginnt mit dem Respekt für einen anderen Menschen. Wertschätzung beinhaltet das Interesse an einem Menschen als Individuum und zeigt sich in der ihm entgegengebrachten Aufmerksamkeit. Dafür bedarf es kein Führungskräftetraining, sondern eine wohlwollende Haltung seiner Mitmenschen gegenüber. Vielleicht würde es schon helfen, in diesem Kontext nicht von Mitarbeitenden, Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, sondern von Mitmenschen zu sprechen und sie auch so zu behandeln. Etwas wertschätzen, es positiv zu bewerten, zu respektieren und einzubeziehen, ist die Grundlage für Nachhaltigkeit. Wen ich nicht wertschätze, den werde ich nicht halten können. Wertschätzung ist der Schlüssel zur Mitarbeiterbindung.
AG Kanzleimanagement des DAV
Es ist durchaus positiv zu bewerten, dass der bundesweit gravierende Fachkräftemangel der ReNoPat-Berufe auf dem Deutschen Anwaltstag überhaupt thematisiert wurde. Die AG Kanzleimanagement initiierte mehrere lebhaft besuchte Diskussionsrunden. Man hat sich auch nicht mehr hinter dem demografischen Wandel versteckt, sondern sich an die eigene Nase bzw. das eigene Berufsimage gefasst. Richtig ist, dass alle Branchen einen Fachkräftemangel verzeichnen und die Zahl der Auszubildenden deutschlandweit sinkt. Aber, dass der Beruf der Rechtsanwalts-, Notarfach- und Patentanwaltsfachangestellten unter Schülern nahezu unbekannt ist, kommt hier erschwerend hinzu. Aber die missliche Lage des Ausbildungsberufes tritt erst dann vollends zu Tage, wenn man sich in Netzwerken, Chats und sozialen Medien über die Ausbildung, die Arbeit und das Miteinander in Kanzleien und Notariaten informiert. Ganz vorsichtig ausgedrückt: viel Positives ist nicht zu lesen. Ob nun tatsächlich ein Anwalt von seiner Mitarbeiterin verlangt hat, ihm die Tagezeitung morgens gebügelt und ohne Knick zu reichen oder ob die ReNo nur mal ihren angestauten Frust loswerden wollte, ist nicht zu klären. Aber, dass die Digitalisierung dafür sorgt, dass man immer weniger mit Aktenordnern werfen kann und bald auch das Zeitungsbügeln wegfällt, ist doch eine positive Begleiterscheinung der digitalen Transformation.
Wo sind die Auszubildenden?
Dann besteht vielleicht auch wieder Hoffnung, doch noch Auszubildende für Kanzleien zu finden? Die BRAK fragt sich in ihrem aktuellen BRAK-Magazin 3/2023, wo denn die Auszubildenden sind. Die Jugendlichen fragen sich indessen, was denn bitte die BRAK ist. Solange sich die Branche nicht öffnet und mit der Jugend in den Dialog tritt, wird sie auch keine interessierten Bewerber finden. Die Betonung liegt auf „interessiert“. Bewerber, die eigentlich etwas anderes machen wollten, nicht wissen was sie wollen oder eigentlich studieren möchten, werden nicht zur ReNo von morgen. Der interessierte Bewerber hat einen berechtigten Anspruch auf eine ganzheitliche und zukunftsorientierte Ausbildung. Die Frage, die viele Ausbilder bewegt ist, wie man das als einzelner Ausbilder noch leisten kann. Hier ist Zusammenarbeit notwendig, am besten in Kooperation.
Ausbildung allein funktioniert nicht
Die mangelnde Bereitschaft zur Kooperation unter der Anwaltschaft und der immer noch vorherrschende Konkurrenzgedanke kamen leider in vielen Diskussionen zum Ausdruck und gipfelten in dem Bekenntnis eines Berufsträgers: „Ich bilde keine ReNo aus, wenn ich nicht weiß, ob die dann wirklich bei mir bleibt, womöglich geht sie noch in die Justiz.“ Zur Erinnerung: Nur Rechtsanwälte dürfen Rechtsanwaltsfachangestellte ausbilden, wenn sie es nicht tun, dann tut es keiner. Die Nachwuchssicherung ist für den einzelnen Ausbildungsbetrieb eine Herkulesaufgabe. Eine Verbesserung der Situation kann nur durch gemeinsames Handeln erreicht werden. Angst vor Kooperation ist unbegründet, wenn sie besser sind als die Konkurrenz.
ReNos in die Schulen? Wirklich?
Statt die ohnehin durch extreme Arbeitsbelastung gestressten ReNos in Sachen Berufsorientierung in die Schulen zu schicken, sollten man sich die Schüler lieber ins Haus holen. Die Türen aufmachen und miteinander reden. Der Anwaltstag wäre eine sehr gute Gelegenheit, um jedes Jahr in einer anderen Stadt für den Rechtsmarkt zu werben. Die Aussteller der AdvoTec wären in jedem Fall davon sehr angetan, denn sie haben längst begriffen, dass die digitale Transformation nur mit der ReNo bzw. durch die ReNo funktioniert. Die ReNo ist die Anwenderin und Nutznießerin der digitalen Tools. Sie hat auch wenig Angst, dass sie wegdigitalisiert wird. Die ReNo weiß in der Zwischenzeit, was sie wert ist. Sie denken jetzt an die gestiegenen Gehaltsvorstellungen ihrer ReNo? Keine Angst, Sie müssen nicht alles mit Geld bezahlen. Sie könnten auch ihr wertschätzendes Verhalten in die Waagschale werfen.
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